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Fragen zur Vorlesung vom 2011 12 13

  1. Wann ist der Richter von der Wahrheit einer behaupteten Tatsache überzeugt?
    • Das Ziel der Behauptung und Beweisführung wird erreicht, wenn der Richter zur freien Überzeugung gelangt, dass eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist (§ 286 ZPO).Entscheidend kommt es darauf an, dass die persönliche Überzeugung des Richters bei Würdigung sämtlicher Umstände unter Heranziehung gesicherter naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, Denkgesetze und Regeln der Lebenserfahrung vorhanden ist. Dies muss der Richter im einzelnen in den Entscheidungsgründen eines Urteils darlegen und nachvollziehbar machen, wie er zu dem Überzeugungsprozess gelangt ist.
  2. Nennen Sie eine Verfahrensart, in der es ausreicht, eine behauptete Tatsache glaubhaft zu machen (in der das sog. Beweismaß also reduziert ist)
    • Wann ausnahmsweise die bloße Glaubhaftmachung einer tatsächlichen Behauptung genügt, ist gesetzlich bestimmt. Glaubhaftmachung ist z.B. in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausreichend (§§ 920 Abs. 2, 936). Durch die Absenkung des Beweismaßes wird der Dringlichkeit der Sache Rechnung getragen, die keine aufwendigen Beweisaufnahmen erlaubt.
  3. Erläutern Sie die Begriffe Hauptbeweis, Gegenbeweis, Beweis des Gegenteils.
    • Der Hauptbeweis bezeichnet die Überzeugung eines Zivilgerichts von der Richtigkeit der Beweisbehauptung einer Partei. Ihn zu führen obliegt der beweisbelasteten Partei, ihn zu verhindern oder zu erschüttern deren Prozessgegner.
    • Die Erschütterung der richterlichen Überzeugung von der Richtigkeit einer Beweisbehauptung durch den Beweisgegner nennt man Gegenbeweis. Er ist schon geführt, wenn er beim Richter Zweifel an der Richtigkeit der Behauptung der beweisbelasteten Partei weckt.
    • Vom Beweis des Gegenteils spricht man, wenn die Gegenpartei das Gegenteil der Behauptung beweisen konnte.
  4. Unterscheiden Sie den unmittelbaren von dem mittelbaren (auch: Indizien-) Beweis.
    • Der unmittelbare Beweis erlaubt direkten Schluss auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines gesetzlichen Tatbestandmerkmals. (Bspw. Zeugenaussage, die das Vorliegen eines Tatbestandmerkmals bestätigt)
    • Der mittelbare Beweis (auch Indizienbeweis) erlaubt Schlüsse auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines gesetzlichen Tatbestandmerkmals unter Zuhilfenahme von Erfahrungssätzen. Soll der mittelbare Beweis Urteilsgrundlage sein, muß er ebenso zur vollen richterlichen Überzeugung führen. Kein Zwang, statt eines mittelbaren Beweises einen unmittelbaren Beweis zu führen, falls beides gegeben ist.
  5. Was ist ein Anscheinsbeweis (auch: prima-facie-Beweis)?
    • Von einem Prima-facie-Beweis spricht man dann, wenn ein typischer Geschehensablauf vorliegt. Eine Lücke in der Sachverhaltsaufklärung kann dann wegen der Stärke des anzuwendenden Erfahrungsgrundsatzes durch den sogenannten Anscheinsbeweis gefüllt werden. Der sogenannte Anscheinsbeweis spielt bei der Feststellung des Verschuldens eine große Rolle, soweit nicht bereits nach § 282 BGB die Beweislast umgekehrt ist (Auffahrunfall, Kollision eines Fahrzeuges mit einem Baum, Zusammenbrechen einer Brücke kurz nach Erstellung, Fremdkörper in einer Operationswunde). Der jeweils feststehende Sachverhalt reicht aufgrund der Lebenserfahrung zu dem rechtliche Werturteil aus, dass in diesen Fällen typischerweise Fahrlässigkeit anzunehmen ist.
  6. Welches sind die Folgen einen Beweisvereitelung?
    • Beweisvereitelung liegt vor, wenn die Partei eines Prozesses schuldhaft die Möglichkeit verhindert oder erschwert über einen prozesserheblichen Umstand Beweis zu erheben. Dies kann etwa geschehen, indem eine im Prozess zu begutachtende Sache vernichtet oder umgestaltet wird – etwa der Mangel an einem angeblich mangelbehafteten Bauwerk beseitigt wird − oder indem der Name und die Anschrift eines Unfallzeugen nicht genannt werden. Das Verschulden richtet sich hierbei nicht auf die Vernichtung oder Umgestaltung des Beweismittels, sondern auf die Vereitelung der Beweisfunktion.
    • Wenn der Beweispflichtige die Beweisvereitelung herbeigeführt hat, dann ändert sich nichts. Das ist die Folge des Beibringungsgrundsatzes, die den deutschen Zivilprozess beherrscht. Danach hat jeder die Umstände vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, die für ihn günstig sind. Kann er dies nicht, bleibt er beweispflichtig und unterliegt gegebenenfalls. Hierbei ist es naturgemäß unerheblich, ob er dies selbst herbeigeführt hat oder nicht.
    • Anders stellt es sich dar, wenn der nicht mit der Beweislast Belastete die Möglichkeit zur Beweisführung verhindert hat. Der Gesetzgeber hat zwar das Problem gesehen – so enthält etwa § 444 Zivilprozessordnung (ZPO) eine Regelung für das Vorenthalten von Urkunden − aber keine einheitliche Regelung getroffen.
    • Die Rechtsprechung hat inzwischen allgemeine Grundsätze zur Beweisvereitelung entwickelt. Sie gewährt im Rahmen ihrer freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr. Sie stuft die Beweiserleichterungen hierbei danach ab, inwiefern der Gegenpartei unter Berücksichtigung des Grades des Verschuldens der vereitelnden Partei eine Beweisführung zuzumuten ist. Dies kann etwa zu einer Erleichterung der Darlegungslast, zur Annahme eines Anscheinsbeweises oder in schwerwiegenden Fällen auch zur bereits genannten Beweislastumkehr führen. Wenn die Beweisführung (ohne Pflichtverstoß) durch eine Partei aus allein in ihrem Bereich liegenden Umständen erschwert wurde, kann es im Einzelfall Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen, sich auf die ihr günstige Beweislast zu berufen. So etwa, wenn eine Versicherung im Rahmen der Umstellung auf elektronische Buchführung bei ihr vorhandene Urkunden vernichtet hat.
  7. Was ist unter Streng- und Freibeweis zu verstehen?
    • Mit Strengbeweis wird der an die Förmlichkeiten des Beweisverfahrens und die gesetzlichen Beweismittel gebundene Beweis bezeichnet. Der Beweis ist geführt, wenn er zur vollen Überzeugung des Gerichts von der bewiesenen Tatsache führt.
    • Mit Freibeweis bezeichnet man im Zivilprozess eine in der ZPO nicht geregelte Form des Beweises, bei der das Gericht nicht an die gesetzlichen Beweismittel und die Förmlichkeit des Beweisverfahrens gebunden ist, bei der aber, wie beim Strengbeweis die volle Überzeugung des Gerichtes herbeigeführt werden muss.Vom Freibeweis ist die Glaubhaftmachung zu unterscheiden.
  8. Wo ist der Freibeweis insbesondere (sinnvoll und) zulässig?
    • Der Freibeweis ist z.B. zulässig für die Feststellung von Prozessvoraussetzungen und für das Vorliegen der Voraussetzungen für Prozesskostenhilfe (§ 118 ZPO). Für Tatsachen die Grundlage des Urteils werden sollen ist der Freibeweis nicht zulässig.
  9. Welche fünf („strengbeweislichen“) Beweismittel stellt die ZPO den Parteien in §§ 355 ff. ZPO zur Verfügung?
    • Die ZPO regelt nur folgende Beweismittel:
    • 1.Zeugenbeweis (§§ 373 ff. ZPO). 2.Beweis durch Sachverständige (§§ 402 ff. ZPO). 3.Beweis durch Parteivernehmung (§§ 445 ff. ZPO). 4.Beweis durch Augenschein (§§ 371 ff. ZPO). 5.Beweis durch Urkunden (§§ 415 ff. ZPO).
  10. Wie wird Beweis angetreten (= angeboten = die Beweiserhebung beantragt)?
    • Mit Beweisantritt bezeichnet man die Benennung des Beweisthemas und des konkreten Beweismittels. Der Beweisantritt erfolgt in der Regel in einem vorbereitenden Schriftsatz. Je nach Beweismittel sind zusätzliche Anforderungen für den Antritt zu erfüllen (§§ 371, 373, 403, 420, 445 ZPO). In der mündlichen Verhandlung wird der Beweis regelmäßig durch Bezugnahme auf die vorbereitenden Schriftsätzen angetreten. Die vorbereitenden Schriftsätze sollen gemäß § 130 Nr. 5 ZPO die Bezeichnung der Beweismittel enthalten.
  11. Können die oben erwähnten fünf Beweise auch ohne Beweisantrag erhoben werden?
    • Nein. Das Gesetz lässt jedoch neben dem Beweisantritt auch die Beweiserhebung von Amts wegen zu, z.B. in den §§ 144 Abs. 1, 448, 142, 143, 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
  12. Können Beweisanträge zurückgewiesen werden?
    • Eine Vorschrift über die Ablehnung von Beweisanträgen fehlt in der ZPO. Die Rechtsprechung hat, teils unter Anlehnung an § 244 StPO Fallgruppen entwickelt. Danach werden Beweisanträge abgelehnt z.B. wenn:
    • a)Die Beweiserhebung überflüssig ist, weil es auf die Behauptung nicht ankommt.
    • b)Das Beweismittel verspätet vorgebracht wurde (§ 296)
    • c)Das Gericht eine Schadensschätzung nach § 287 vornehmen darf
    • d)bei unzulässigem Ausforschungsbeweis.
    • Beweisanträge brauchen nicht förmlich abgelehnt zu werden. Ihre Ablehnung erfolgt schlicht dadurch, dass das Gericht ein Urteil erlässt, ohne ihnen nachgegangen zu sein.
  13. Wie erfolgt die Beweisanordnung durch das Gericht?
    • Jede Beweisaufnahme setzt eine enstprechende (zumindest stillschweigende) gerichtliche Anordnung voraus.
    • a)Ohne mündliche Verhandlung kann der Vorsitzende (Amtsrichter bzw. Vorsitzender der Zivilkammer, Einzelrichter der Zivilkammer) durch eine Verfügung nach § 273 die Ladung von Zeugen und Sachverständigen zum ersten Termin anordnen.
    • b)Ohne mündliche Verhandlung kann der Vorsitzende einen Beweisbeschluss über bestimmte Themen erlassen (§ 358a)
    • c)Auf Grund mündlicher Verhandlung kann ein Beweisbeschluss nach § 358 ergehen (Inhalt: § 359, also weiter als nach § 358a S.2)
  14. Was besagt der sog. Unmittelbarkeitsgrundsatz für die Beweisaufnahme?
    • Der Gesetzgeber hat den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in § 355 Abs.1 geregelt. Danach findet die Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht statt und zwar grds. innerhalb des Haupttermins. Ausnahmen von der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme ergeben sich, wenn diese durch einen beauftragten oder ersuchten Richter vorgenommen wird (§§ 355 I 2, 372 II, 375, 402, 434, 479). Zur Terminologie: Mit der Beweisaufnahme i.d.S. »beauftragt« wird ein einzelner Richter, der dem erkennenden Kollegialgericht angehört (§ 361 ZPO). Die »Beauftragung« eines einzelnen Richters dient damit der Entlastung der weiteren Mitglieder des erkennenden Spruchkörpers. Der »ersuchte Richter« gehört hingegen einem auswärtigen Gericht an (§ 362 ZPO.
  15. Was besagt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung?
    • Die deutsche Rechtsordnung ist in allen Prozessarten vom Grundsatz der sog. freien Beweiswürdigung bestimmt. Dies bedeutet, dass der Richter sich innerhalb der Denkgesetze der Logik und der naturgesetzlichen Gegebenheiten in freier Überzeugungsbildung ein Bild davon machen darf, was er für seine Urteilsfindung als feststehend annimmt.In der ZPO ist dieser Grundsatz ind § 286 I verankert.
  16. Gibt es als Ausnahme von diesem Grundsatz auch spezielle Beweisregeln?
    • Gesetzliche Beweisregeln gibt es nur in Ausnahmefällen (§ 286 II), § 162 S.2 (Protokoll), § 314 (Urteilstatbestand), §§ 182 (Zustellungsurkunden), §§ 415-418, 438 II (Urkunden).
  17. Beschreiben Sie den Ablauf einer Zeugenvernehmung anhand der Vorschriften der ZPO.
    • Die Pflicht, als Zeuge zu erscheinen und auszusagen, stellt eine allgemeine Staatsbürgerpflicht dar. Diese Pflicht kann zwangsweise durchgesetzt werden (Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft bei Ausbleiben § 380 ZPO, zwangsweise Vorführung). Gewissen Personen steht jedoch ein Zeugnisverweigerungsrecht zu (vgl. §§ 383 ff. ZPO), auf welches die Person ausdrücklich vor ihrer Vernehmung hingewiesen werden muss.Die Zeugen werden jeweils einzeln und in Abwesenheit der später anzuhörenden Zeugen vernommen. Die Vernehmung beginnt mit eine Belehrung über die Wahrheitspflicht (§ 395 ZPO). Es folgen dann Angaben zur Person und zur Sache. Der Zeuge sollte zum Gegenstand seiner Vernehmung zunächst einen sog. spontanen Zeugenbericht, eine zusammenhängende Schilderung geben, um anschließend durch das Gericht, die Anwälte und die Parteien zusätzlich befragt zu werden. Die an sich auch im Zivilprozess vorgesehene Beeidigung (§ 391 ZPO) erfolgt sehr selten.
  18. Wie beurteilen Sie, ob ein Zeuge glaubwürdig ist?
    • Es wird zunächst davon ausgegangen, die Aussage sei unwahr (Nullhypothese).Diese Hypothese wird anhand folgender Positivindizien überprüft.
    • 1.konkrete, anschauliche Schilderung
    • 2.Detailreichtum und Zugeben von Erinnerungslücken
    • 3.Schilderung abgebrochener Handlungsketten und von Unverstandenem
    • 4.Selbstkorrekturen und Belastungen
    • 5.Originalität
    • 6.Innere Stimmigkeit (Logische Konsistenz)
    • 7.Sachverhaltstypische Details
    • Eine bewusste Lüge ist aus dem gespeicherten Allgemeinwissen konstruiert. Die Lügensignale ergeben sich aus dem Umkehrschluss der Realitätskriterien.
    • 1.Verlegenheit und Zurückhaltung der Aussagen und in der Körpersprache
    • 2.Sprachliche Kriterien wie der Freudsche Versprecher
    • 3.Unterwürfigkeit oder deren Gegenteil
    • 4.Übertreibung der Bestimmtheit der Aussage
    • 5.Vorwegverteidigungs- und Entrüstungssymptom
    • 6.Kargheit, Abstraktheit und Detailarmut
    • 7.Glatte Darstellung (ohne Komplikationen)
    • 8.Strukturbrüche
    • Die Annahme, durch das technische Hilfsmittel eines Polygraphentests ("Lügendetektors") körperliche Reaktionen bei einer Befragung so festhalten und auswerten zu können, dass damit der Wahrheitsgehalt von Antworten "gemessen" werden könne, hat sich als zu technikgläubig erwiesen. Ein Polygraphentest stellt daher jedenfalls in Deutschland kein zulässiges Beweismittel dar.[9]
  19. Wenn Sie das Thema über die Glaubwürdigkeit eines Zeugen interessant finden, lesen Sie die Darstellung auf de.Wikipedia.org

VorlesungSb/ZPO2011/FragenVorlesung20111213 (zuletzt geändert am 2012-01-28 20:37:13 durch anonym)