Fragen zur Vorlesung vom 2011 10 31

  1. Was ist unter einem Mahnverfahren, einem Urkundenverfahren und einem Adhäsionsverfahren zu verstehen ?
    • Unter einem Mahnverfahren versteht man ein einfaches, beschleunigtes und kostengünstiges Verfahren, welches es dem Gläubiger eines Zahlungsanspruchs ermöglicht einen vollstreckungstitel zu erhalten. (Pohlmann § 15 Rn. 819)
    • Unter einem Urkundenverfahren versteht man ein durch Einschränkung der zulässigen Beweismittel, sowie der Unzulässigkeit der Widerklage beschleunigtes Verfahren zum Erhalt eines Vollstreckungstitels.
    • Im Adhäsionsverfahren kann ein zivilrechtlicher Anspruch, die aus einer Straftat entstanden sind, im strafrechtlichen Verfahren mit geltend gemacht und gleichzeitig vom Strafgericht über diesen entschieden werden, sofern der zivilrechtliche Anspruch noch nicht anderweitig rechtshängig gemacht wurde. Das Adhäsionsverfahren ist in den §§ 403 ff. StPO geregelt. Das Verfahren bringt dadurch eine Beschleunigung, dass kein gesonderter Zivilprozess über den Anspruch geführt werden muss, sondern dieser in einem ohnehin durchzuführenden Verfahren mit erledigt werden kann.
  2. Sehen Sie Gemeinsamkeiten zwischen den einstweiligen Rechtschutzverfahren auf der einem und Mahn- und Urkundenverfahren auf der anderen Seite ?
    • Eine Gemeinsamkeit zwischen den einstweiligen Rechtschutzverfahren und Mahn- und Urkundenverfahren liegen darin, dass bei beiden die Möglichkeit besteht schnell zu einem Vollstreckungstitel zu kommen. Weiterhin wird bei beiden nur eine reduzierte, wenn nicht sogar gar keine Beweisaufnahme durchgeführt und zumindest im Mahnverfahren und den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auch teilweise keine mündliche Verhandlung durchgeführt.
  3. Warum wird im Zivilprozess zwischen Zulässigkeit und Begründetheit unterschieden und warum muss in aller Regel vor der Prüfung der Begründetheit einer Klage über deren Zulässigkeit entschieden werden?
    • Im Zivilprozess wird zwischen Zulässigkeit und Begründetheit unterschieden, weil die Zulässigkeit nur die Sachentscheidungsvoraussetzungen umfasst und die Begründetheit nur den materiellen Anspruch. Diese werden deshalb getrennt, damit das Gericht zunächst darüber entscheiden kann, ob überhaupt die Sachentscheidungsvoraussetzungen für den behaupteten Anspruchs vorliegen, da sich das Gericht bei Fehlen der Sachentscheidungsvoraussetzungen mit einer prüfung des materiellen Anspruchs nur unnötige Arbeit machen würde. Erst wenn diese vorliegen, prüft das Gericht überhaupt, ob der materielle Anspruch besteht. Weist das Gericht eine Klage als unzulässig ab, kann sie erneut erhoben werden. Wird die Klage dagegen als unbegründet abgewiesen, so erstreckt sich die Rechtskraft nach Ablauf der Rechtsmittelfrist auf dieses Urteil und der Streitgegenstand kann wegen der entgegenstehenden Rechtskraft nicht erneut anhängig gemacht werden.
  4. Erläutern Sie die vielfach fälschlich gebrauchen Begriffe Prozessvoraussetzungen (i. e. S.), Zulässigkeitsvoraussetzungen, Sachurteilsvorausssetzungen, Sachentscheidungsvoraussetzungen.
    • Der Oberbegriff der hier angeführten Begriffe sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen. Unter ihnen versteht man die Voraussetzungen, die für eine Entscheidung des Gerichts über den materiellen Anspruch des Klägers vorliegen müssen. Auch die anderen drei Begriffe meinen eigentlich die Zulässigkeitsvoraussetzungen werden aber oft fälschlich gebraucht. So kann im Verfahren vor den Familiengerichten nicht von den Zulässigkeitsvoraussetzungen als Sachurteilsvoraussetzungen gesprochen werden, da das Familiengericht durch Beschluss entscheidet. Hier ist der allgemeinere Begriff Sachentscheidungsvoraussetzungen zutreffend für die Zulässigkeitsvoraussetzungen. Auch Prozessvoraussetzungen wird oft fälschlich gebraucht für die Zulässigkeitsvoraussetzungen, da es nicht immer zu einem Prozess kommen muss. Auch hier sind die Sachentscheidungsvoraussetzungen der bessere Begriff.
  5. Welche die Parteien betreffenden Zulässigkeitsvoraussetzungen kennen Sie?
    • Die Parteien betreffenden Zulässigkeitsvoraussetzungen sind die Parteifähigkeit, die Prozessfähigkeit, die Prozessführungsbefugnis sowie die Postulationsfähigkeit. (Pohlmann § 5 Rn. 192)
  6. Was überhaupt ist unter einer Partei zu verstehen? Wer bestimmt, ob jemand Partei wird?
    • Der Kläger bestimmt durch seine Klage, wer Partei wird. Durch die Klage wird der Kläger selbst, sowie der von ihm bezeichnete Klagegegner Partei. Unter einer Partei versteht man den Kläger und den Beklagten. Gemäß des in der ZPO geltenden formellen Parteibegriffs ist Partei, wer Rechtsschutz begehrt und gegen wen dieser Rechtsschutz begehrt wird (Musielak, Grundkurs ZPO, Rn. 223).
  7. Ist es denkbar, dass darüber gestritten wird, ob eine Partei existent ist?
    • Ja, vgl. BGH - XII ZR 41/09 - vom 29. September 2010
  8. Ab welchem Zeitpunkt sind natürliche Personen parteifähig?
    • Natürliche Personen sind ab Vollendung der Geburt gemäß § 1 BGB rechtsfähig und damit auch parteifähig. Auch der nasciturus kann in den gesetzlich vorgesehenen Fällen (z.B. § 1923 II BGB) durch einen Pfleger vertreten selbst Partei sein.
  9. Sind eingetragenen Vereine, GmbH und Aktiengesellschaft parteifähig?
    • Diese sind parteifähig, da sich die Parteifähigkeit gemäß § 50 I ZPO nach der Rechtsfähigkeit richtet. Da alle diese als juristische Personen rechtsfähig sind, sind sie auch parteifähig.
  10. Was ist mit Personengesellschaften, nicht rechtsfähigen Vereinen und Wohnungseigentümergemeinschaften?
    • Personengesellschaften sind kraft gesetzlicher Anordnung parteifähig (z.B. § 124 I HGB für die OHG oder § 161 I HGB für die KG). (Pohlmann § 5 Rn. 237) Auch die GbR ist nach Rechtsprechung des BGH parteifähig, soweit sie als Außengesellschaft am Rechts- und Wirtschaftsverkehr teilnimmt.
    • Der nicht rechtsfähige Verein kann verklagt werden (passive Parteifähigkeit). Mittlerweile hat die Rechtsprechung aber nicht nur den Gewerkschaften wegen ihrer Sonderrolle aus Art. 9 III GG, sondern allen nicht rechtsfähigen Vereinen die aktive Parteifähigkeit zugesprochen.(Pohlmann § 5 Rn. 239 ff.)
    • Bei den Wohnungseigentümergemeinschaften hat sich ein Wandel bei der Parteifähigkeit vollzogen. Früher waren solche Gemeinschaften weder aktiv noch passiv parteifähig. Zunächst wurde dann durch die Rechtsprechung die Parteifähigkeit für Angelegenheiten der das Vermögen betreffenden Forderungen und Verbindlichkeiten angenommen. Schließlich hat der Gesetzgeber in § 10 VI 3 WEG die aktive und passive Parteifähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft normiert. (Pohlmann § 5 Rn. 242)
  11. Was ist unter Prozessfähigkeit zu verstehen?
    • Unter Prozessfähigkeit versteht man die Fähigkeit selbst als Beklagter oder Kläger vor Gericht zu stehen. (Pohlmann § 5 Rn. 243) Jede Person, die sich durch Verträge verpflichten kann, ist prozessfähig (§ 52 ZPO).
  12. Sind alle oben genannten prozessfähig?
    • Bei den natürlichen Personen richtet sich die Prozessfähigkeit nach der Geschäftsfähigkeit, so dass grundsätzlich erst mit der Volljährigkeit die Prozessfähigkeit gegeben ist. Personenvereinigungen aller Art können nicht selbst vor Gericht auftreten und sind nicht prozessfähig.
  13. Wer vertritt sie, wenn sie zwar parteifähig, nicht aber prozessfähig sind?
    • Sie (Minderjährige, alle Personenvereinigungen) werden durch ihre gesetzlichen Vertreter vertreten, die dann prozessfähig sind. (Pohlmann § 5 Rn. 246)
  14. Was ist unter Prozessführungsbefugnis zu verstehen?
    • Unter der Prozessführungsbefugnis versteht man das Recht, das eingeklagte Recht im eigenen Namen geltend zu machen und auf der anderen Seite sich gegen das eingeklagte Recht im eigenen Namen zu verteidigen. (Pohlmann § 5 Rn. 247)
  15. Warum finden Sie in kaum einem Zivilurteil längere Ausführungen zur Prozessführungsbefugnis?
    • Grundsätzlich macht der Kläger ein eigenes Recht im eigenen Namen geltend, gegen das der Beklagte das Recht hat, sich im eigenen Namen zu verteidigen. Daher ist die Prozessführungsbefugnis sehr häufig unproblematisch gegeben. Ausnahmefälle sind die gesetzliche und die gewillkürte Prozessstandschaft.
  16. Was ist unter gewillkürter und gesetzlicher Prozessstandschaft zu verstehen?
    • Unter gewillkürter Prozessstandschaft versteht man die Ermächtigung eines Rechteinhabers an einen Dritten, das Recht des Inhabers im eigenen Namen geltend zu machen. Unter gesetzlicher Prozessstandschaft versteht man das auf Gesetz beruhende Recht, fremde Rechte im eigenen Namen geltend machen zu können. (Pohlmann § 5 Rn. 253, 259)
  17. Unter welchen Voraussetzungen ist die gewillkürte Prozessstandschaft zulässig?
    • Eine gewillkürte Prozessstandschaft ist nur dann zulässig, wenn eine ausdrückliche Ermächtigung des Rechteinhabers an den Dritten vorliegt und ein eigenes, schutzwürdiges, rechtliches Interesse des Prozessstandschafters an der Prozessführung besteht. Dieses Interesse ist insbesondere dann nicht gegeben, wenn die andere Partei durch diese Vereinbarung unbillig benachteiligt würde. (Pohlmann § 5 Rn. 259)
  18. Welche Fälle der gesetzlichen Prozessstandschaft kennen Sie?
    • Ein Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft ist § 265 II 1 ZPO, der vorsieht, dass bei Veräußerung der streitbefangenen Sache, während des Prozesses der Veräußerer für den Erwerber den Prozess in gesetzlicher Prozessstandschaft fortführen darf. Zudem sehen §§ 1368 und 1422 BGB gesetzliche Prozessstandschaften bei Ehegatten in bestimmten Fällen vor. Auch "Parteien kraft Amtes" wie der Insolvenzverwalter oder der Testamentsvollstrecker handeln in gesetzlicher Porzessstandschaft. (Pohlmann § 5 Rn. 255)
  19. Worum geht es in § 265 ZPO und - ist auch das ein Fall gesetzlicher Prozessstandschaft?
    • Wie oben bereits beschrieben geht es bei § 265 ZPO um die streitbefangene Sache, die während des Prozesses veräußert wird. Auch hier wird ein Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft angenommen.
  20. Wodurch unterscheidet sich die Prozessstandschaft von der Vertretung (etwa der 6 - jährigen Leonie durch ihre Eltern) und der sog. Aktiv- bzw. Passivlegitimation?
    • Die Prozessstandschaft unterscheidet sich von der Vertretung dadurch, dass bei der Vertretung ein fremdes Recht in fremdem Namen geltend gemacht wird, wohingegen bei der Prozessstandschaft ein fremdes Recht im eigenen Namen geltend gemacht wird. Unter der Aktiv- bzw Passivlegitimation versteht man die materielle Anspruchsberechtigung bzw. -verpflichtung. Die Prozessstandschaft hat gerade nichts mit der Aktiv- oder Passivlegitimation zu tun, da hier nicht gefragt wird, wer der materiell Anspruchsberechtigte oder -verpflichtete ist, sondern ob jemand prozessrechtlich befugt, ist ein fremdes Recht im eigenen Namen geltend zu machen. Die Prozessstandschaft ist Zulässigkeits-, die Aktiv- und Passivlegitimation sind Begründetheitsvoraussetzungen.
  21. Was ist unter der Postulationsfähigkeit zu verstehen?
    • Unter der Postulationsfähigkeit versteht man die Fähigkeit selbst vor Gericht auftreten zu können und auch selbst wirksame Prozesshandlungen vornehmen zu können. Nach § 78 I ZPO sind die Parteien selbst nur vor dem Amtsgericht postulationsfähig. Sonst müssen sie sich gemäß § 78 I ZPO von einem Anwalt vertreten lassen.
  22. Nennen Sie Ausnahmen vom Anwaltszwang im Landgerichtsprozess?
    • Ausnahme von diesem Grundsatz ist § 78 IV ZPO, der einem vertretungsberechtigten Anwalt die Möglichkeit einräumt sich selbst zu vertreten. Das Arrestgesuch, wie auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, kann auch beim Landgericht durch die Partei selbst eingereicht werden, da gemäß §§ 936, 920 III ZPO diese Einreichung zu Protokoll der Geschäftsstelle erfolgt und nach § 78 III ZPO die Vorschriften des § 78 I, II ZPO nicht anwendbar sind, wenn eine Prozesshandlung vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erfolgt. Zudem ist auch keine Vertretung durch einen Rechtsanwalt beim Landgerichtsprozess während der Beweisaufnahme geboten, wenn das Gericht diese nach § 362 I ZPO an den ersuchten Richter überweist. Auch dann folgt aus § 78 III ZPO das § 78 I, II nicht anwendbar sind.
  23. Ist die Beschränkung der Anwaltsvollmacht im Innenverhältnis gegenüber Gericht und Gegner wirksam?
    • Gemäß § 83 I ZPO hat eine Beschränkung der Anwaltsvollmacht dem Gegner gegenüber nur insoweit rechtliche Wirkung, als die Beschränkung den Abschluss von Vergleichen, den Verzicht oder die Anerkennung betrifft. Gegenüber dem Gericht hat eine Beschränkung im Innenverhältnis keine Wirkung, da das Gericht ausdrücklich nicht in § 83 genannt ist.
  24. Wann endet die Vollmacht des Anwalts im Landgerichtsprozess? Was bedeutet das etwa für gerichtliche Ladungen?
    • Die Vollmacht des Anwalts im Landgerichtsprozess endet gemäß § 87 I ZPO gegenüber dem Gegner erst mit der Anzeige der Bestellung eines neuen Rechtsanwalts. Für gerichtliche Ladungen bedeutet dies nach § 87 II ZPO, dass der ursprüngliche Bevollmächtigte so lange befugt ist für die Partei zu handeln bis für die Wahrnehmung der Rechte der Partei in anderer Weise gesorgt ist (ein neuer RA wurde bestellt). Gerichtliche Ladungen werden also bis zur Benennung eines neuen Rechtsanwalts im Landgerichtsprozess dem bisher bei Gericht genannten Bevollmächtigten der Partei auch wirksam für und gegen die Partei zugestellt.

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