Fragen zur Vorlesung vom 22. Mai 2012, Stand 18. Juni 2012

  1. Was könnte für, was gegen eine Selbstverwaltung der Justiz sprechen (vgl. zuletzt von Paczensky/Frank, 16. Deutscher Verwaltungsgerichtstag Freiburg 2010, Dokumention, Selbstverwaltung der Justiz; unbedingt lesen auch: Woratsch, Selbstverwaltung der Justiz in Österreich, DRiZ 2011, 110 und Justice en grève - Justiz im Streik, DRiZ 2011, 155)?
    • Laut Deutschem Richterbund ist die Justiz im Moment sehr stark von der Verwaltung abhängig. Diese zeige sich sowohl in einer politischen Abhängigkeit, als auch vor allem in einer finanziellen Abhängigkeit. Außerdem herrsche derzeit keine strikte Gewaltentrennung, was laut Deutschem Richterbund, jedoch vom Grundgesetz gefordert sei. Auch andere europäische Länder werden oft als Beispiel der Sinnhaftigkeit einer Selbstverwaltung der Justiz genannt.
    • Allerdings kann man nicht substantiiert behaupten, dass sich die deutsche Justiz in einer politischen Abhängigkeit der Exekutive befindet. Aller Richter sind frei in ihrere Entscheidung und von niemandem anhängig. Kein Richter in Deutschland ist auf eine Wiederwahl angewiesen und muss keinerlei Konsequenzen für seine Urteile fürchten. Nicht einmal die Versetzung eines Richters ist ohne dessen Einverständnis möglich. Eine politische Abhängigkeit liegt also keinesfalls vor. Die finanzielle Abhängigkeit von der Exekutive kann hingegen niemand abstreiten. Allerdings würde diese auch keinesfalls zurückgehen, wenn sich die Justiz selbst verwalten würde. Die grundsätzlichen Entscheidungen über den Haushalt fällt weiterhin die Exekutive und nicht die Justiz selbst, da diese nicht an der Entstehung am jeweiligen Landeshaushalt mitwirkt. Eine strikte Gewaltentrennung liegt unbestritten derzeit nicht vor. Allerdings wird diese auch nicht vom Grundgesetz verlangt (siehe unten).Auch der Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist nicht zielführend, da man immer das gesamte Justizsystem und nicht nur einzelne Facetten vergleichen muss. Die Justizsysteme der europäischen Länder sind von Grund auf unterschiedlich und können daher nicht in einzelnen Punkten miteinander verglichen werden.
  2. Kennt das Grundgesetz ein striktes Gebot der Gewaltentrennung?
    • Nein, das GG formuliert in Art. 20 Abs. 2 S. 2 nur die Aufteilung der 3 Staatsgewalten. Wie diese sich jedoch untereinander verhalten ist damit nicht festgelegt.
  3. Unterstellt, die fehlenden Selbstverwaltung sei ein Verstoß gegen einen in einem vorverfassungsrechtlichen oder überpositiven Sinne verstandenen Grundsatz der Gewaltenteilung - heisst das, dass das gegenwärtige System der „Fremdverwaltung“ der Justiz durch die Landesjustizverwaltungen rechtswidrig, gar verfassungswidrig sei?
    • Nach dem GG wird eine Gewaltenteilung in Art.20 III GG vorgeschrieben, jedoch ist eine genauere Definition dieser Trennung nicht im Grundgesetz verankert.
      • Berührungspunkte zwischen den unterschiedlichen Gewalten sind im praktischen Leben unausweichlich. Ein Einfluss der Exekutive und die Judikative ermöglicht erst das Überwachen, solange es sich im Rahmen hält.
  4. Was denken Sie über das Selbstverwaltungsmodell des Deutschen Richerbundes (Deutscher Richterbund, Entwurf für ein Landesgesetz zur Selbstverwaltung der Justiz (Landesjustizselbstverwaltungsgesetz - LJSvG)http://www.drb.de/cms/fileadmin/docs/sv_gesetzentwurf_100325.pdf)?

    • bleibt jedem selbst überlassen
  5. Wie viele Richter hat das Bundesverfassungsgericht und wie lange ist ihre Amtszeit?
    • 2 Senate à 8 Richter, Amtszeit 12 Jahre, Wiederwahl nicht möglich (§ 4 BVerfGG)
  6. Über welche Verfahren entscheidet das Bundesverfassungsgericht?
    • über die in Art. 93 GG, § 13 BVerfGG genannten Verfahren, insbesondere über
    • Verfassungsbeschwerden, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG, sowie
    • über konkrete Normenkontrollverfahren, Art. 100 Abs 1 GG, §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG
  7. Welches Verfahren nimmt den bei weitem größten Teil (97 %) der bundesverfassungsgerichtlichen Verfahren ein?
    • die Verfassungsbeschwerde
  8. In wie vielen Fällen endet dieses Verfahren erfolgreich für den Beschwerdeführer?
    • in weniger als 2% der Fälle
  9. Was ist unter einer Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG) zu verstehen?
    • die Rüge, dass der Beschwerdeführer durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem grundrechtsgleichen Recht verletzt worden sei
  10. Was unter der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde?
    • Zulässigkeitsvoraussetzung der Verfassungsbeschwerde ist die Ausschöpfung des Rechtswegs vor Einlegung der Beschwerde, § 90 Abs. 2 BVerfGG
  11. Ist das Bundesverfassungsgericht eine Art „Superrevisionsinstanz“?
    • nein, es prüft lediglich, ob durch die Vorinstanzen Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte verletzt wurden und nicht ob, das sonstige Recht richtig angewendet wurde
  12. Wann entscheidet die Kammer, wann der Senat über eine Verfassungsbeschwerde (vgl. dazu etwa Klein, Sennenkamp, Aktuelle Zulässigkeitsprobleme der Verfassungsbeschwerde, NJW 2007, 945, 946 f.)?
    • Nur Fälle mit grundsätzlicher Bedeutung werden vom Senat entscheiden, alle anderen werden von der Kammer bearbeitet. Der Senat kommt deshalb lediglich auf ca 10- 20 mündliche Verhandlungen pro Jahr.
    • Die Kammer kann anstelle des Senats der Verfassungsbeschwerde stattgeben, wenn die maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das BVerfG bereits entschieden ist und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist ( § 93c 1 BVerfGG). Allerdings bleibt eine Entscheidung, die mit Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 BVerfGG) ausspricht, dass ein Gesetz mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar ist, dem Senat vorbehalten (§ 93 c Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
  13. Was ist die Aufgabe der Landesverfassungsgerichte?
    • Ihre Aufgabe ist es die Einhaltung des Landesverfassungsrechts zu kontrollieren. Zu den Landesverfassungsgerichten kann Verfassungsbeschwerde oder Antrag auf Normenkontrolle gestellt
      • werden.
  14. Kann gegen die letztinstanzliche Entscheidung eines Oberlandesgerichts die Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sowohl zum Bundesverfassungsgericht als auch zum Landesverfassungsgericht erhoben werden?
    • Nein, da das Landesverfassungsgericht lediglich über die Einhaltung des Landesverfassungsrechts wacht. Das Recht auf richterliches Gehör ist im Grundgesetz in Art. 103 I GG festgeschrieben und sofern es nicht in einer Landesverfassung zusätzlich festgeschrieben ist, kann eine Verfassungsbeschwerde diesbezüglich nur zum Bundesverfassungsgericht erfolgen.
  15. Was ist unter einer konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG, §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG) zu verstehen?
    • Darunter versteht man in inzidente Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Gesetzes in einem Verfahren über einen anderen Gegenstand, bei dem es auf die Rechtmäßigkeit der Norm ankommt.
  16. Unterfallen auch vorkonstitutionelle oder nur nachkonstitutionelle Gesetze dem Art. 100 GG
    • grundsätzlich nur nachkonstitutionelle Gesetze, vorkonstitutionelle dann, wenn der nachkonstitutionelle Gesetzgeber sie in seinen Willen aufgenommen hat.
  17. was überhaupt ist ein nachkonstitutionelles Gesetz?
    • Ein nachkonstitutionelles Gesetz ist ein Gesetz, das nach Entstehung der Grundgesetzes in Kraft getreten ist.
  18. Darf der Richter einen Rechtsstreit dem Bundesverfassungsgericht schon dann vorlegen, wenn er Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Norm hat? Was muss der Vorlagebeschluss also erkennen lassen?
    • die Entscheidung des Gerichts muss von der Gültigkeit der Rechtsnorm abhängen, § 80 Abs. 2 BVerfGG, bei deren Verfassungswidrigkeit muss das Ergebnis also ein anderes sein als bei deren Verfassungsgemäßheit
  19. Welche Entscheidungen kann das BVerfG in dem Verfahren nach Art. 100 GG treffen?
    • Wenn in einem Verfahren ein Richter ein Gesetz für Verfassungswidrig hält, kann er das Verfahren aussetzen und das BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzen entscheiden lassen.
  20. Wie viele Richter hat der Europäische Gerichtshof (im engeren Sinne) - welches ist ihre Amtszeit? Was ist die Aufgabe der dort tätigen Generalanwälte?
    • Am EuGH sind 27 Richter mit einer Amtszeit von 6 Jahren tätig. Eine Wiederwahl ist möglich.
    • Ein Generalanwalt schreibt ein eigens Gutachten, dass in der Gerichtsverhandlung behandelt wird und dem das Gericht meist in seiner Entscheidung auch folgt.
    • Der Generalanwalt gilt als Vertreter der objektiven Meinung.
    • EINVERSTANDEN, ABER NOCH NICHT VOLLSTÄNDIG BEANTWORTET
  21. Was ist unter einem Vorabentscheidungsverfahren (Art. 19 Abs 3b EUV, 267 AEUV) zu verstehen?
    • Das VEV ist vergleichbar mit der konkr. Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG) in der BRD, allerdings kommt es bei dieser auf die Erheblichkeit der Verfassungswidrigkeit an. Dies ist bei dem VEV vor dem EuGH in Luxemburg nicht der Fall, dort genügen bereits sich aus der Auslegung des Europarechts ergebende Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Gesetzes.
  22. Darf der Richter einen Rechtsstreit dem EuGH schon dann vorlegen, wenn er Zweifel an der Gültigkeit gemeinschaftsrechtlicher Regelungen oder hinsichtlich deren Auslegung hat?
    • Nach Artikel 234 EGV sind nur Fragen über die Auslegung und Gültigkeit des Gemeinschaftsrechts tauglicher Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens. Dies sind insbesondere:
      1. Fragen über die Auslegung des primären Gemeinschaftsrechts
      2. Fragen über die Auslegung und/oder Gültigkeit von sekundärem Gemeinschaftsrecht
      3. Fragen über die Auslegung der Satzungen der durch den Rat geschaffenen Einrichtungen
      • Auslegung in diesem Sinne ist nur die allgemeine Deutung einer Norm, nicht die Anwendung auf einen konkreten Sachverhalt wie z.B. die Vereinbarkeit von nationalem Recht mit Gemeinschaftsrecht. Die Subsumtion bleibt den nationalen Gerichten vorbehalten.
  23. Muss er es u.U.?
    • Es besteht eine Vorlagepflicht in folgenden Fällen:
      1. Bei einem letzinstanzlich entscheidendem Gericht (Art. 234 Abs. 3 EGV). Es besteht eine Vorlagepflicht für alle nationalen Gerichte, deren Entscheidungen mit innerstaatlichen Rechtsmitteln nicht mehr angefochten werden können.
      2. Ausnahmsweise auch eine Vorlagepflicht für nicht letztinstanzliches Gericht in zwei Fällen: - Nach der Foto-Frost-Rechtsprechung dürfen nationale Gerichte Gemeinschaftsrecht nicht verwerfen, weil dadurch die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts gefährdet wäre. - Will ein Gericht die Aussetzung der Vollziehung eines auf sekundärem Gemeinschaftsrecht beruhenden nationalen VA anordnen, dann muss es gleichzeitig die Frage der Gültigkeit des gemeinschaftsrechtlichen Rechtsaktes vorlegen.
  24. Gegen welches grundrechtsähnliche Recht verstößt ein Gericht, das entgegen Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht vorlegt?
    • das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 GG
  25. Welches ist die Aufgabe des EGMR?
    • Der EGMR hat seinen Sitz in Straßburg und ist ein auf der europäischen Menschenrechtskonvention gegründeter Gerichtshof. Er soll die Einhaltung dieser Konvention seiner Vetragsstaaten sicherstellen.

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