Fragen zur Vorlesung vom 17. Juli 2012

  1. Was ist unter dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 286 Abs. 1 ZPO) zu verstehen?
    • Der Beweis ist dann geführt, wenn die zu beweisende Tatsache zur Überzeugung des Richters feststeht, also kein naturwissenschaftlicher Beweis, sondern ein praktisch brauchbarer Grad von richterlicher Gewissheit, bei dem vernünftige Zweifel schweigen. Kann sich der Richter die notwendige Überzeugung nicht bilden, entsteht ein „non liquet“. Der Beweis ist nicht geführt, die Partei beweisfällig geblieben.
  2. Wie läuft ein Strafverfahren ab?
    • Es beginnt mit dem Ermittlungsverfahren, das von der Staatsanwaltschaft eingeleitet wird und wo ein Tatverdacht bestehen muss (§§ 151 ff. StPO). Darauf folgt das Zwischenverfahren, bei dem ein hinreichender Tatverdacht bestehen muss (§§ 199 ff. StPO), sodass die Klage entweder eröffnet oder abgewiesen wird. Danach beginnt das Hauptverfahren und schließlich das Rechtsmittelverfahren, bei dem das Gericht im Berufungs- oder Revisionsrechtszug überprüft. Letztlich gibt es noch das Vollstreckungsverfahren, welches sich auch in den Händen der Staatsanwaltschaft befindet.
  3. Und wie eine Hauptverhandlung?
  4. Welche Verfahrensmaximen beherrschen den Strafprozess?
    • Typisch für den Strafporzess sind die Offizialmaxime, das Legalitätsprinzip, der Ermittlungsgrundsatz, der Anklagegrundsatz und der Grundsatz "in dubio pro reo". Daneben gelten auch noch die "allgemeinen" Grundsätze wie der Grundsatz der Mündlichkeit, der Unmittelbarkeit, des rechtlichen Gehörs, des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter etc.
  5. Was ist unter der Offizialmaxime zu verstehen und welches ist die gegensätzliche Maxime im Zivilprozess?
    • Im Strafverfahren obliegt es den staatlichen Organen Anklage zu erheben (Akkusationsprinzip). Ohne Bedeutung ist dabei der Wille der Betroffenen. Auch gegen den erklärten Willen des Opfers einer Straftat sind die Strafverfolgungsbehörden gehalten zu ermitteln. Dies folgt aus dem Legalitätsprinzip. Diese Maxime wird jedoch an verschiedenen Stellen durchbrochen. So ist bei einigen Straftatbeständen, insbesondere solchen mit Bagatellcharakter oder mit höchstpersönlichem Einschlag, vor einer Strafverfolgung ein Strafantrag des Geschädigten nötig oder er darf selbst den Weg der (strafrechtlichen) Privatklage beschreiten.

Die Offizialmaxime ist eine Prozessmaxime. Sie ist nicht zu verwechseln mit der Inquisitionsmaxime (Untersuchungs-, Amtsermittlungsgrundsatz), nach der ein Gericht bzw. eine Behörde den Sachverhalt von sich aus ermitteln muss und darin nicht auf das Vorbringen oder die Beweisanträge der Parteien beschränkt ist. Im Zivilprozess herrscht dagegen im Übrigen überwiegend die gegenteilige Dispositionsmaxime.

  1. Was ist ein Privatklagedelikt?
    • Die Privatklagedelikte hat der Gesetzgeber in § 374 StPO geregelt. Bei den Privatklagedelikten handelt es sich um einen Katalog von Straftaten, bei denen es grundsätzlich dem Verletzten zuzumuten ist, seine Interessen an der Bestrafung des Täters selbst im Wege der Privatklage durchzusetzen.

Öffentliche Anklage durch die Staatsanwaltschaft wird gemäß § 376 StPO bei diesen Delikten nur erhoben, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt.

  1. Was ein Antragsdelikt?
    • Unter einem Antragsdelikt versteht man eine Straftat, der grundsätzlich nur auf Antrag des Verletzten von den Strafverfolgungsbehörden nachgegangen wird. Unterschieden wird zwischen

- reinem Antragsdelikt und einem - Mischantragsdelikt (--> Antrags- und Offizialdelikt).

  1. Was ist unter dem Legalitätsprinzip zu verstehen?
    • Das Legalitätsprinzip beinhaltet, dass die Staatsanwaltschaft beim Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte von Amts wegen verpflichtet ist, einzuschreiten. Es handelt sich hierbei um einen gesetzlich angeordneten Verfolgungs- und Anklagezwang (§§ 152 II, 160 I, 163 I StPO).
  2. Liegt auch den §§ 153 ff. StPO das Legalitätsprinzip zugrunde?
    • Den §§ 153ff. StPO liegt das Opportunitätsprinzip zugrunde. Die Staatsanwaltschaft kann in den dort normierten Fällen nach freiem Ermessen bestimmen, ob die Tat noch weiter verfolgt wird oder nicht. Insoweit besteht daher ein Gegensatz zum Legalitätsprinzip, da eine Anklage nicht zwingend vorgeschrieben ist.
  3. Was ist ein Klageerzwingungsverfahren?
    • Das Klageerzwingungsverfahren bietet im deutschen Strafprozessrecht demjenigen Anzeigeerstatter, der zugleich Verletzter der angezeigten Straftat ist, die Möglichkeit, eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft, das Ermittlungsverfahren einzustellen oder keine Ermittlungen aufzunehmen, gerichtlich überprüfen zu lassen.

Gesetzlich geregelt ist das Klageerzwingungsverfahren in § 172 StPO.

1. Was ist der Ermittlungsgrundsatz und welches ist der gegensätzliche Grundsatz im Zivilprozess?

  1. Was, wenn ein Ermittlungsergebnis auf einer Drohung mit körperlicher Misshandlung beruht?
    • Für dieses Ermittlungsergebnis besteht gemäß § 136a StPO ein absolutes Verwertungsverbot.
  2. Was ist unter dem Anklagegrundsatz zu verstehen?
    • Der Anklagegrundsatz (§ 151 StPO) besagt, dass ein strafgerichtliches Verfahren nur aufgrund einer förmlichen Anklage durchgeführt werden darf. Zuständig hierfür ist gemäß § 152 StPO die Staatsanwaltschaft.
  3. Was ist unter dem Mündlichkeitsprinzip zu verstehen und wie unterscheidet sich seine „Wertigkeit“ im Strafprozess von der, die es im Zivilprozess hat?
    • Das bedeutet, dass alles, was später im Urteil genannt wird, auch vorher in der Verhandlung vorgekommen sein muss, sodass es jeder hören konnte. Alles, was nicht gesagt wurde, darf nicht berücksichtigt werden.
  4. Was ist unter dem Grundsatz der Unmittelbarkeit zu verstehen und unterscheidet sich seine „Wertigkeit“ im Strafprozess von der, die es im Zivilprozess hat?
    • Das Gericht hat sich einen möglichst direkten, unvermittelten Eindruck vom Tatgeschehen zu verschaffen, das heißt, das tatsächliche Beweismittel zu benutzen (§§ 226, 250, 261 StPO). Nur diejenigen, die von der ersten bis zur letzten Verhandlung dabei waren, dürfen später das Urteil fällen.
  5. Gibt es sog. „Ergänzungsrichter“?
    • Ja, bei Verhandlungen von längerer Dauer wird auf Anordnung des Vorsitzenden über die gesetzlich bestimmte Zahl der mitwirkenden Richter ein weiterer Richter zugezogen, der während der Dauer der Verhandlung anwesend sein muss und im Fall der Verhinderung eines Richters für diesen eintritt; vorher darf er bei der Beratung und Abstimmung nicht anwesend sein (§§ 192, 193 GVG).
  6. Gilt der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung auch im Strafprozess?
    • ja, dieser Grundsatz gilt auch im Strafprozess - vgl. § 261 StPO
  7. Was bedeuten die Unschuldsvermutung (bitte nachlesen - nicht behandelt) und der Grundsatz „in dubio pro reo“?
    • Die Unschuldsvermutung erfordert, dass jeder einer Straftat Verdächtigte oder Beschuldigte während der gesamten Dauer des Strafverfahrens als unschuldig behandelt wird und nicht er seine Unschuld, sondern die Strafverfolgungsbehörde seine Schuld beweisen muss.

Zur Durchsetzung der Unschuldsvermutung sind strafrechtliche Verbote (Verfolgung Unschuldiger, falsche Verdächtigung, Verleumdung, üble Nachrede) und je nach Sachlage verschiedene zivilrechtliche Abwehr- und Ausgleichsansprüche (Anspruch auf Gegendarstellung, Widerruf, Richtigstellung, Schadensersatz, Geldentschädigung, Unterlassung) vorgesehen. Die Vermutung der Unschuld endet mit der Rechtskraft der Verurteilung.

in dubio pro reo: "Im Zweifel für den Angeklagten". --> Strafrechtlicher Grundsatz, nach dem die für den Angeklagten jeweils günstigere Tatsache anzunehmen ist, wenn Umstände nicht eindeutig geklärt werden können. Das führt dazu, dass nur der Angeklagte verurteilt werden darf, dessen Schuld zweifelsfrei feststeht. Ist ein Richter nicht die von der Schuld des Angeklagten voll überzeugt, ist eine Verurteilung ausgeschlossen. Zweifel müssen das Gericht zugunsten des Angeklagten von einer Bestrafung absehen lassen. Der Grundsatz "in dubio pro reo" ist weder im Strafgesetzbuch (StGB) noch in der Strafprozessordnung (StPO) normiert, wird jedoch aus dem im Grundgesetz verankerten RECHTSSTAATSPRINZIP abgeleitet. Er gilt im materiellen Strafrecht uneingeschränkt. Er gilt auch für die Frage, ob auf den Angeklagten Jugendstrafrecht anzuwenden ist.

1. Was ist ein sog. Deal?

Das Interesse des Gerichtes und der Staatsanwaltschaft besteht dabei darin, dass der Angeklagte sich bei einer gelungenen Verständigung zu einem Geständnis bereitfinden wird, wodurch der Aufwand des Verfahrens stark reduziert werden kann. Der Vorteil des Angeklagten besteht darin, dass er einerseits eine gewisse Sicherheit über den Ausgang des Verfahrens erlangt, andererseits eben durch das Ablegen des Geständnisses einen erheblich zu seinen Gunsten sprechenden Strafmilderungsgrund herbeiführt.

1. Machen Sie deutlich, dass die zwischenzeitlich gesetzlich geregelte sog. Verständigung im Strafverfahren anerkannte Verfahrensmaximen des Strafprozesses verletzen kann.

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