Fragen zur Vorlesung vom 26. Juni 2012

  1. Wie viel % der Absolventen des Zweiten Juristischen Staatsexamens ergreifen den Rechtsanwaltsberuf?
    • Den Rechtsanwaltsberuf ergreifen ca. 2/3 der Absolventen des Zweiten Juristischen Staatsexamens.
  2. Nach § 1 der BRAO ist der Rechtsanwalt ein „unabhängiges Organ der Rechtspflege“ - aus welcher Zeit stammt dieser Begriff und was ist darunter zu verstehen?
    • Diese Bezeichnung wurde erstmalig in einer Entscheidung vom 25. Mai 1883 gebraucht. Sie bedeutet, dass der Rechtsanwalt nicht nur seinem Mandanten ggü. verpflichtet ist, sondern auch der Rechtsordnung. Folglich ist er ein dem Richter und Staatsanwalt gleich geordnetes Organ der Rechtspflege.
  3. Nach § 3 Abs. 3 der BRAO hat jedermann das Recht, sich in Rechtsangelegenheiten aller Art durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl beraten und vor Gerichten pp. vertreten zu lassen. Demgemäß ist der Rechtsanwalt „der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten“. Ist es denkbar, dass die sich aus § 1 BRAO ergebenden Anforderungen an den Rechtsanwalt in Konflikt zu den Anforderungen des § 3 BRAO treten und wenn ja, wie wäre dieser zu lösen?
    • Bei Konflitken mit der materiellen Rechtsordnung und den Interessen des Mandanten wird der Rechtsanwalt im Zweifelsfall die Interessen seines Mandanten durchsetzten wollen.
  4. Beschreiben sie nunmehr die Aufgaben eines Rechtsanwalts.
    • Beratung und Vertretung (ggf. vor Gericht) von Mandanten, um deren Rechte durchzusetzen.
  5. Übt der Rechtsanwalt ein Gewerbe aus?
    • Nein, er übt einen freien Beruf aus.
  6. Welche vertraglichen Beziehungen bestehen zwischen den Rechtsanwalt und seinem Mandanten?
    • Dienstvertrag i. S. d. § 611 BGB
  7. Nach welchem Gesetz richtet sich die Höhe der Rechtsanwaltsvergütung?
    • Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG)
  8. Wieviel € in etwa „verdient“ der Rechtsanwalt, der seinen Mandanten in einem Verkehrsunfallprozess mit einem Streitwert von 10.000 € vertritt
    • in der Eingangsinstanz,
    • in der Berufungsinstanz?

      --> erste Instanz: ca. 1.500 EUR brutto --> zweite Instanz: ca. 950 EUR brutto (ohne Terminsgebühr) und ca. 1.643 EUR brutto (mit Terminsgebühr)

  9. Exkurs: Unterstellt, der Mandant verliere den Prozess. Mit welchen Kosten muss er rechnen?
    • neben den Kosten des eigenen Anwalts muss er auch noch die Kosten des gegnerischen Anwalts sowie sämtliche Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen wie beispielsweise auch Sachverständigenentschädigung) zahlen, § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO
  10. Welche Voraussetzungen muss der Jurist erfüllen, um Rechtsanwalt werden zu können?
    • Ein Jursit benötigt das 2. Staatsexamen, also die Befähigung zum Richteramt, um den Anwaltsberufs ausüben zu können. Des Weiteren muss bei einer Rechtsanwaltskammer zugelassen werden.
  11. Ist es sinnvoll, in der Referendarausbildung die „Befähigung zum Richteramt“ zu vermitteln, obschon die Mehrzahl der jungen Juristen den Anwaltsberuf ergreift?
    • Ja, denn nur so kann der angehende Anwalt sich in die Lage des Richters versetzen; während eines Prozesses kann dies nur von Vorteil sein. Außerdem möchten Awnälte die selben Qualifikationen wie Richter erlangen um nicht als "schlechtere" Juristen für die Gesellschaft/Öffentlichkeit erscheinen; dies wird mit der Befähigung zum Richteramt verhindert.
  12. Wie berücksichtigt der Gesetzgeber dieses Faktum in der Referendarausbildung?
    • Durch die Verpflichtung zur Ableistung einer Anwaltsstation und Möglichkeit die Wahlstation in einer Kanzlei zu absolvieren. Die Anwaltsstation während der Referentenausbildung beträgt ca. 9 Monate und die Wahlstation in einer Kanzlei weitere 3 Monate.
  13. Welche Aufgaben hat die Rechtsanwaltskammer?
    • Entscheidung über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, die Überwachung der Einhaltung des Berufsrechts durch die Berufsträger im Bezirk und die Vermittlung bei Streitigkeiten zwischen Rechtsanwälten und ihren Mandanten.
  14. Welche Aufgaben die Anwaltsgerichtsbarkeit?
    • Entscheidung bei Streitigkeiten, die sich aus den in der BRAO geregelten speziellen anwaltlichen Berufspflichten ergeben
  15. Und zum Schluss: Sollten die Rechtsanwälte auch in Zukunft „unabhängige Organe der Rechtspflege“ bleiben?
    • Ja, diese Tatsache trägt entscheidend zum Gelingen eines freiheitl. Rechtsstaates bei.
  16. Welches sind die Aufgaben eines Notars?
    • in erster Linie Beurkundung spezieller Verträge wie dem Grundstückskaufvertrag (§ 311b BGB) oder der Auflassung (§§ 873, 925 BGB), dem Ehevertrag, dem Erbvertrag, dem notariellen Testament. Man kann den Beruf des Notars damit als vorsorgende Rechtsplege, da mit notariell beurkundeten Verträgen Rechtsunsicherheiten vermieden werden sollen.
  17. Gibt es auch eine Notarkammer und eine „Notargerichtsbarkeit“?
    • Es gibt eine Notarkammer, die u. a. darüber "wacht", dass Notare ihre berufstypischen Pflichten einhalten.
  18. Was ist unter dem Justizanspruch/Justizgewährungsanspruch/Justizgewährleistungsanspruch zu verstehen?
    • Es muss eine ausreichende Anzahl von Gerichten geben, zu denen grundsätzlich jeder Zugang haben muss. Der Justizgewährleistungsanspruch ist Ausfluss daraus, dass es keine Selbstjustiz gibt, sondern man gezwungen wird, staatliche Hilfe zur Durchsetzung seiner Rechte in Anspruch zu nehmen.
  19. Aus welchen Vorschriften lässt er sich herleiten?
    • Bsp.: Art. 19 Abs. 4 GG
  20. Welches ist sein Inhalt?
    • Der Anspruch beinhaltet einen Anspruch auf die Durchführung des Erkenntnisverfahrens, des Vollstreckungsverfahrens und einen Anspruch auf einstweiligen Rechtschutz.
  21. Welche Forderungen lassen sich aus ihm ableiten?
    • Es muss eine ausreichende Anzahl von zweckdienlich organisierten Gerichten sowie Prozessordnungen, die den jeweiligen Verfahrensrahmen abstecken, geben.
  22. Aus welchen Vorschriften lässt sich der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz ableiten?
    • Seit Dezember 2011 gibt es ein Gesetz zur Verhinderung überlanger Verfahren.
  23. Handelt es sich bei diesem Anspruch um eine Ausprägung des Justizanspruchs oder um eine eigene Verfahrensmaxime?
    • Der Anspruch ist eine Ausprägung des Justizanspruchs und besagt, dass Verfahren nicht übermäßig lange dauern dürfen.
  24. Welches ist die Bedeutung der vorstehenden Frage?
  25. Welches ist der Inhalt des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz?
    • Der effektive Rechtsschutz (Rechtsweggarantie) umfasst das Recht zur Anrufung staatl. Gerichte durch eine natürliche Person oder jur. Person des Privatrechts (gem. Art. 19 III GG).
  26. Zu überlanger Verfahrensdauer in einem Zivilverfahren vgl. den sog. Grähser - Prozess (BVerfG - 1 BvR 352/00 - vom 20. 07. 2000, NJW 2001, 214 - 216 = und EGMR - 66491/01 - vom 05. 10. 2006, EuGRZ 2007, 268 - 273). Worum ging es in diesem Prozess?
  27. Was hat der EGMR immer wieder (vgl. zuletzt EGMR - 46344/06 - vom 02. 09. 2010, zitiert nach juris, dort Rdnrn 53 ff., 71 ff., NJW 2010, 3355 - 3358) an der deutschen Rechtsordnung kritisiert.
    • Die überlange Verfahrensdauer an deutschen Gerichten.
  28. Was sieht das Gesetz zum Rechtsschutz bei überlangen Verfahren zwischenzeitlich vor?
    • zunächst muss die überlange Verfahrensdauer gerügt werden, dann besteht die Möglickeit wegen materieller und immaterielller Schäden Schadensersatz zu verlangen
  29. In welchen Verfahren achtet das Bundesverfassungsgericht mit unnachgiebiger Strenge auf die Verfahrensdauer?
    • in Strafverfahren, in denen der Angeklagte in Untersuchungshaft sitzt
  30. Aus welchen Vorschriften lässt sich der Anspruch auf rechtliches Gehör herleiten?
    • Art. 103 Abs. 1 GG
  31. Wer ist Inhaber dieses Anspruchs?
    • jeder, der sich mit Anträgen, Tatsachenvorträgen an ein Gericht wenden will
  32. Welches ist der Inhalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör?
    • Möglichkeit, eigenen Vortrag zu leisten oder sich mit dem Vorbringen des Gegners auseinanderzusetzen
    • Auf die tatsächliche Inanspruchnahme des rechtlichen Gehörs kommt es nicht an.
  33. Lässt sich aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör ein Anspruch der Parteien des Zivilprozesses auf ein umfassendes Rechtsgespräch mit dem Richter ableiten, in dem dieser seine Rechtsauffassung zumindest andeutet?
    • Nach herrschender Meinung besteht kein Anspruch auf ein Rechtsgespräch.
  34. Nennen Sie Vorschriften der ZPO und des GVG, die einfachrechtlicher Ausdruck des Art. 103 Abs. 1 GG sind.
    • §§ 99 III 2, 118 I 1, 136 III, 138, 139, 141, 225 II, 278 III, 296, 296 a, 357 ZPO.
  35. In welcher Form wird rechtliches „Gehör“ gewährt?
    • Rechtliches Gehört wird sowohl schriftlich als auch mündlich gewährt.
  36. Welches sind die Folgen unterbliebenen rechtlichen Gehörs im Zivilprozess?
    • Es können die bekannten Rechtsmittel eingesetzt werden:
    • Berufung § 511 ZPO,
    • Revision § 545 ZPO (und Sprungrevision § 566 ZPO),
    • Beschwerde § 567 ZPO,
    • sofortige Beschwerde (Nichtigkeitsbeschwerde) § 577 ZPO,
    • Verfassungsbeschwerde gem. § 90 BVerfGG (nach Erschöpfungs des Rechtsweg und Zulassung durch das BVerfG)
  37. Kennen Sie Verfahren, in denen rechtliches Gehör erst mit zeitlicher Verzögerung in einem „Nachverfahren“ gewährt wird?
    • einstweiliges Verfügungsverfahren (§ 937 Abs. 2 ZPO), strafrechtliches Ermittlungsverfahren, Urkundenverfahren, Verfahren der Forderungspfändung (§ 834 ZPO)
  38. Zum Schluss: Haben Sie bemerkt, dass der Gesetzgeber (auch potenzielle) Verfahrensbeteiligte geradezu ermutigt, von ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör Gebrauch zu machen?

VorlesungSb/SchildGerichtsverfassungsUndVerfahrensrecht/FragenVorlesungSechsundzwanzigsterJuni (zuletzt geändert am 2012-07-06 14:59:40 durch anonym)