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Fragen zur Vorlesung vom 26. April 2011

  1. Die rechtsprechende Gewalt ist in Deutschland im Wesentlichen in fünf gleichrangige Gerichtsbarkeiten untergliedert. Ist ein derartiger Aufbau zwingend? Kennen Sie andere Länder, die eine andere Form des Aufbaus gewählt haben?
    • Nein, ein Aufbau dieser Art ist nicht zwingend, sondern eher eine Ausnahme. In den meisten anderen Ländern ist die rechtsprechende Gewalt in lediglich zwei Gerichtbarkeiten unterteilt, Zivil- und Strafgerichtbarkeit.
  2. Was sind die Vorzüge, was die Nachteile eines derart (in Rechtswege und Instanzen) differenzierten Gerichtsaufbaus?
    • Durch diese Aufteilung sind Richter dauerhaft einem bestimmten Zweig der Gerichtsbarkeit zugeteilt, was dazu führt, dass sie sich in ihrem Gebiet spezialisieren können. Nur das gibt ihnen die Möglichkeit, mit den sich stets fortbildenden Anwälten mitzuhalten. Allerdings kann diese Aufteilung auch dazu führen, dass ein und der selbe Fall in mehreren Rechtswegen anhängig gemacht werden kann.
    • Wird im Nachhinein festgestellt, dass der falsche Rechtsweg gewählt wurde, muss nicht der gesamte Prozess neu aufgerollt werden, vgl. §§ 17 f GVG (bei rechtkräftiger Entscheidung ist diese bindend, "besser Entscheidung durch falsches Gericht als ewiges Hin und Her").
    • Es kann auch vorkommen, das ein Zeuge mehrere Male verhört werden muss, wegen Zivilverfahren, Strafverfahren, 1. Instanz, 2. Instanz etc.
  3. Was, wenn eine öffentlich - rechtliche Streitigkeit beim Landgericht anhängig gemacht wurde? Kann das Landgericht diese auch ohne Antrag des Klägers an das zuständige Verwaltungsgericht verweisen? Kann das Verwaltungsgericht, wenn es der Auffassung ist, es sei doch das Landgericht zuständig, die Sache zurückverweisen? Kann ein vom Verwaltungsgericht verurteilter Beklagter seine Berufung und/oder Revision darauf stützen, dass das Landgericht zuständig war?
    • Grundsätzlich bedarf es laut § 281 Abs. I ZPO eines Antrags des Klägers, um die Unzuständigkeit eines Gerichts auszusprechen. Jedoch ist ein Verweisungsbeschluss auch dann bindend, wenn er solche Verfahrensmängel aufweist (BGH FamRZ 90, 1226). Eine Ausnahme besteht, wenn die Verweisung auf reiner Willkür basiert, was in diesem Fall durch die offensichtlich falsche Zuständigkeit jedoch ausgeschlossen werden kann.
    • Das Verwaltungsgericht könnte entsprechend mit Hinweis auf Verfahrensfehler zurückverweisen. Davon abgesehen sind Verweisungsbeschlüsse gemäß § 281 Abs. 2 ZPO für auf das verwiesene Gericht bindend und unanfechtbar.
    • Soweit der Beklagte ein Gericht für unzuständig hält, muss er dies vor Einlassung rügen. Tut er dies nicht, gilt gemäß § 39 ZPO, dass die Zuständigkeit begründet ist. Eine Berufung und/oder Revision aus diesem Grund wäre also ausgeschlossen.
  4. Ist der Zivilrichter etwa bei der Beurteilung eines Verkehrsunfalls an die strafrichterlichen Feststellungen gebunden?
    • Nein
  5. Wie versucht der Gesetzgeber, der Gefahr widersprechender Entscheidungen durch die Obersten Bundesgerichte bzw. durch die Zivil- und Strafsenate des BGH zu begegnen?
    • Durch die Bildung gemeinsamer Senate.
  6. Für welche Rechtsstreitigkeiten ist die ordentliche Justiz nach der Generalklausel des § 13 GVG zuständig?
    • Vor die ordentlichen Gerichte gehören die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, die Familiensachen und die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Zivilsachen) sowie die Strafsachen, für die nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist oder auf Grund von Vorschriften des Bundesrechts besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind.
  7. Wie werden die in § 13 GVG genannten „Bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten“ von den öffentlich - rechtlichen Streitigkeiten i. S. d. § 40 Abs. 1. S. 1 VwGO abgegrenzt (Welche Theorien werden zur Abgrenzung von öffentlichem und Privatrecht vertreten?
    • Subordinationstheorie: Ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis liegt dann vor, wenn ein Über-/Unterordnungsverhältnis gegeben ist. Ein Privatrechtsverhältnis dagegen ist bei einem Gleichordnungsverhältnis der Beteiligten gegeben.
    • Interessentheorie: Gegenstand des öffentlichen Rechts sind die Belange des Staates, während das Privatrecht dem Nutzen des Bürgers dient.
    • Subjektstheorie: Der Subjektstheorie zufolge ist eine Rechtsnorm immer dann dem öffentlichen Recht zuzuordnen, wenn der Staat oder eine seiner Untergliederungen in ihrer Eigenschaft als solche Partei des Rechtsverhältnisses sind.
  8. Kennen Sie Streitigkeiten, für die die ordentliche Justiz kraft besonderer Zuweisung (also nicht nach der Generalklausel des § 13 GVG) zuständig ist?
    • Bei bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten kraft Zuweisung handelt es sich beispielsweise um Enteignungen oder Amtspflichtverletzungen. (Art. 14 III 3 GG)
  9. Was ist unter freiwilliger Gerichtsbarkeit zu verstehen?
    • Freiwillige Gerichtsbarkeit ist keine Rechtsprechung im engeren Sinne sondern beschäftigt sich z.B. mit Vormundschaft u.ä. Sie kennt keinen Streit oder Verfahren und wird im Gegensatz zur ordentlichen Gerichtsbarkeit oft nicht von Richtern sondern von Rechtspflegern ausgeführt.
  10. Wodurch unterscheiden sich Ordnungswidrigkeiten und Strafen? Ist die Sicherungsverwahrung eine nach deutschem Recht eine Strafe. Was meint das Bundesverfassungsgericht? Wie sieht der EGMR das?

Strafsachen sind solche Rechtsangelegenheiten, die durch eine kriminelle Strafe bedroht sind. Merkmal dieser Strafe ist das mit der Strafverhängung verbundene Unwerturteil, das den staatlichen Strafanspruch und den Rechtsgüterschutz des einzelnen Bürgers verwirklicht.

Die Ordnungswidrigkeit hingegen enthält eine Sanktion, die an die nachdrückliche Pflichtermahnung anknüpft.

Das deutsche Strafsystem ist zweispurig. Es wird unterschieden zwischen Strafe und Maßnahmen zur Sicherung und Besserung. Die Sicherheitsverwahrung gehört laut BVerfG zu Zweitem und ist demnach keine Strafe, weshalb auch die Grundsätze der ‚nulla poena, nullum crimen’ darauf keine Anwendung finden.

Der EGMR sieht dies jedoch insofern anders, als er sagt, dass die Personen, die in Sicherheitsverwahrung sind, unter den gleichen Bedingungen gehalten werden, wie Straftäter, die eine Straftat verbüßen. Die Deklaration, die Sicherheitsverwahrung sei keine Strafe sei deshalb rein formaler Natur. Da in Wirklichkeit jedoch zwischen Strafe und Sicherheitsverwahrung kein Unterschied bestehe, müssen auch die NPNC-Grundsätze Anwendung finden, was vor allem erhebliche Auswirkungen auf die nachträgliche Sicherheitsverwahrung hat.

  1. Gibt es eine Patent- und eine Schifffahrtsgerichtsbarkeit?
    • Ja, als besondere streitige Zivilgerichtsbarkeit.
  2. Wofür sind die Arbeitsgerichte zuständig? Nach welchen Vorschriften?
    • Die Arbeitsgerichtbarkeit ist gemäß §§ 2, 2a, 3 AGG bei allen Arbeitsverhältnissen anzuwenden. Stimmt das: "Bei den Arbeitsgerichten findet sich in jeder Instanz auch ein ehrenamtlicher Richter, der die Kompetenz der Praxis ins Gericht bringen soll."
  3. Wofür sind die allgemeinen Verwaltungsgerichte zuständig? Nach welchen Vorschriften?
    • Die Verwaltungsgerichtbarkeit in ihrere heutigen Form gibt es seit 1961, ihre Zuständigkeiten finden sich in § 40 VWGO. Aktuelles Problem der Verwaltungsgerichtbarkeit ist ihre niedrige Auslastung von meist nur 50% in fast ganz Deutschland, dadurch dass sehr viele Asylverfahren weggefallen sind.
  4. Wofür sind die Sozialgerichte zuständig? Nach welchen Vorschriften?
    • Die Hauptnorm bzgl. der Zuständigkeit der Sozialgerichte ist § 51 II SozG. Zuständigkeit sind z.B. Sozialhilfe, Krankenversicherung, Rentenversicherung, Hartz IV etc.
  5. Warum wird in Deutschland eine Zusammenlegung von allgemeiner Verwaltungsgerichtsbarkeit und Sozialgerichtsbarkeit diskutiert?
    • Wegen der niedrigen Auslastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der hohen Auslastung der Sozialgerichtsbarkeit. Allerdings hat sich das System der fünf verschiedenen Gerichtsbarkeiten bewährt.
  6. Nach Art. 103 Abs. 1 GG hat „vor Gericht … jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör“. Was bedeutet das ?
    • Jede natürliche Person sowie jede juristische Person hat Anspruch vor Gericht angehört zu werden.
  7. Lässt sich der Anspruch auf rechtliches Gehör auch aus anderen Normen des Grundgesetzes herleiten?
    • In Art. 104 Abs. 3 GG wird jedem, der einer strafbaren Handlung verdächtigt wird, zusätzlich das Recht auf Einwendungen vor Gericht gewährt.
  8. Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird in vielen einfach-gesetzlichen Normen etwa der ZPO präzisiert. Nennen Sie derartige Normen?
    • §§ 136 Abs. 3, 139, 279 Abs. 3, 335 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, mittelbar auch die Vorschriften über die Prozesskostenhilfe, §§ 114 ff. ZPO; §§ 33, 33a, 115, 115a, 136, 163 a Abs. 1, 201, 243 Abs 4, 257, 258 Abs. 2, 265, StPO; Art 6 Abs. 1 EMRK.
  9. Verletzt die korrekte Anwendung der Normen über die Zurückweisung verspäteten Vorbringens das rechtliche Gehör?
    • Nicht richtig ist: "Vgl. §96 I ZPO, "bei gutem Grund für Verspätung...""
      • Vll ist es richtiger zu sagen, dass grundätzlich jeder die Chance haben soll, vor Gericht gehört zu werden. Jeder hat die Möglichkeit, Tatsachen- und Rechtsvorträg vorzubringen. Dies kann jedoch nicht in einer beliebigen Zeit erfolgen. Die Funktionstätigkeit der Gerichte muss gewahrt werden und außerdem hat auch ein jeder das Recht auf ein zügiges Verfahren. Gerade in Deutschland stellt sich immer öfter das Problem, dass es in Verfahren zu lange dauert, bis es zu einem Urteil kommt. Gibt man nun jeder Partei vor Gericht beliebig lange Zeit, Vorträge beizubringen, so zieht sich das Verfahren auf zu lange Zeit hin. Das würde jedoch dem Rechtsstaat widerstreben. (?)
  10. Welche Konsequenzen hat die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör?
    • Einerseits kann der betroffene ein zulässiges Rechtsmittel anwenden, außerdem hat er nach § 321a ZPO Recht auf Fortsetzung des Verfahrens in 1. Instanz. (erstmal keine Verfassungsbeschwerde)
  11. Gibt es Verfahrensarten, in denen dem durch eine gerichtliche Entscheidung Benachteiligten rechtliches Gehör erst nach dieser Entscheidung gewährt wird?
    • Ja, bei den so genannten Eilverfahren. Hier gibt es die Möglichkeit bereits im Vorhinein eine einstweilige Verfügung zu erreichen.

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