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Fragen zur Vorlesung vom 19. April 2011

  1. Nach Art. 92 GG ist „die rechtsprechende Gewalt“ „ den Richtern anvertraut“ - sie darf m. a. W. nur durch Richter ausgeübt werden. Was ist unter rechtsprechender Gewalt (Rechtsprechung) i. S. des Art. 92 GG zu verstehen?
    • Nicht richtig ist: "Rechtstreitigkeiten werden durch einen Dritten entschieden, der keinen Bezug zum Rechtstreit hat."
  2. Gehören auch Grundbuch und Handelsregister zur rechtsprechenden Gewalt in diesem Sinne?
    • Keine zureichende, wenngleich im Ergebnis richtige Begründung ist, nur vom Ergebnis her zu sagen: "Nein, da Bearbeitungssachen in diesen Bereichen auch von Rechtspflegern ausgeübt werden. Außerdem könnte das Grundbuch und Handelsregister auch an andere Stellen wie zB die IHK ausgelagert werden."
  3. Unterstellt, sie bejahten die Frage: Dürften die Aufgaben im Bereich des Handelregisters dann weitgehend von Rechtspflegern wahrgenommen werden? Dürfte das Handelregister dann gar den Industrie- und Handelskammern übertragen werden?
    • Nicht richtig ist: "Nein, denn die rechtsprechende Gewalt im materiellen Sinne ist nach Art. 92 GG den Richtern anvertraut und darf nur von ihnen ausgeübt werden." Handelt es sich denn um Rechtsprechung im materiellen Sinne ???
  4. Wagen Sie einen Blick in die Zukunft. Werden weitere, derzeit noch von Richtern ausgeübte Aufgaben auf Rechtspfleger (oder gar Notare) übertragen werden?
    • Es ist zu vermuten, dass dies früher oder später aus finanziellen Gründen der Fall sein wird. Rechtspfleger verdienen in etwa 2/3 des Gehalts eines Richters.
  5. Welche Aufgaben hat die Rechtsprechung in unserem Staat (In Ihrer Antwort sollten die Begriffe „Durchsetzung subjektiver Rechte“, „Bewährung der objektiven Rechtsordnung“, „Rechtssicherheit“ und „Rechtsfriede“ nicht fehlen)?
    • Natürlich bringt eine objektive Rechtsordnung nichts, wenn sie nicht auch durchgesetzt wird, zur Not mit Zwang. Ohne die Rechtsprechung, die Bürger verurteilt, welche gegen das Gesetz verstoßen haben, könnte sich das Gesetz nicht bewähren. Ein moderner Staat funktioniert nur deswegen, weil die Bürger wissen, dass bestimmtes Verhalten nicht geduldet wird und jeder seine subjektiven Rechte vor Gericht durchsetzten kann, auch gegenüber dem Staat. Dies führt außerdem zu einer stetigen Kontrolle der staatlichen Macht, die sich vor Gericht (öffentlich) rechtfertigen muss. Des Weiteren ist Rechtsfrieden essentiell für das Zusammenleben in einer Gesellschaft, und dieser wird heutzutage vor allem auch durch die Rechtsprechung aufrecht erhalten. Oft kann ein Streit zwischen Bürgern nur durch einen bindenden Entschluss eines Gerichts beendet werden.
  6. Wie viele Richter arbeiten derzeit an deutschen Zivil-, Familien- und Strafgerichten?
    • ca. 15.000
  7. Wie viele Zivilsachen (ohne Familiensachen) erledigen Jahr für Jahr die deutschen Amtsgerichte?
    • ca. 1,3 Mio.
  8. Wie viele Zivilsachen erledigt ein mit Zivilsachen betrauter Richter am Amtsgericht im Jahr?
    • ca. 610 (und ein Richter des Landgerichts ca. 170 und ein Richter des Oberlandesgerichts ca. 65)
  9. Wie viele Staatsanwälte arbeiten bei deutschen Staatsanwaltschaften?
    • ca. 5.100
  10. Wie viele Rechtsanwälte gibt es in Deutschland?
    • ca. 145.000
  11. Beschreiben Sie die Strukturen des Gerichtsaufbaus in Deutschland (also Rechtswege, Gerichte, Spruchkörper, Rolle der Verfassungsgerichte, Rolle der Europäischen Gerichte, Rolle der Gerichtsverwaltung).
    • Nicht ausreichend, zumal bei dieser konkreten Fragestellung, ist, lediglich zu sagen: "Das Wort Gericht bezeichnet eine Behörde, aber man kann es auch im Sinne eines Spruchkörpers verstehen (z.Bsp: Einzelrichter, Schöffengericht usw.). In jedem Gericht gibt es mindestens einen Richter. Es gibt viele Gerichtsarten, die für einen bestimmten Teilbereich zuständig sind. Z.Bsp: Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist zuständig für die Streitverfahren aus Arbeits- und Tarifverträgen, die Finanzgerichtsbarkeit kümmert sich um die Streitverfahren der Zölle und Finanzen, usw."
  12. Was ist unter dem Justizgewährleistungsanspruch zu verstehen?
    • Der Justizgewährleistungsanspruch garantiert umfassenden Rechtsschutz für die Bereiche des öffentlichen und des privaten Rechts (im Bereich der öffentlichen Gewalt aus Art. 19 IV). Jeder Bürger hat das Recht, sich in seinen Rechtsangelegenheiten an ein Gericht zu wenden, das eine Entscheidung zu treffen und zu verwirklichen hat.
  13. Welchen Aufgaben kommen die Gerichtsverwaltungen und die Justizministerien nach, um die Erfüllung des Justizgewährleistungsanspruchs sicherzustellen?
    • Die Exekutive hat sich um die äußere Organisation zu kümmern, also um Personal und sächliche Mittel, die Legislative hat die Aufgabe der Schaffung von Verfahrensordnungen.
  14. Welche Ansprüche stehen der Partei zu, deren Justizgewährleistungsspruch über unzumutbar lange Zeit nicht erfüllt wird/erfüllt wurde?
    • Bei Nichterfüllung des Justizgewährleistungsanspruchs besteht die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde beim BVG, außerdem auch die einer Beschwerde beim EGMR, welcher die Bundesrepublik Deutschland zu Schmerzensgeld verurteilen kann.
  15. Plant das BMJ auf europäischen Druck (zuletzt EGMR, Urteil vom 2. September 2010 in der Sache Rüdiger Rumpf (46344/06)) ein Untätigkeitsbeschwerdengesetz?
  16. Was ist Sinn und Zweck des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (Gebot des gesetzlichen Richters)?
    • Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG begründet ein subjektives Recht des einzelnen Bürgers auf Gewährung und Beachtung des gesetzlichen Richters. Sinn und Zweck dieses grundrechtsähnlichen Rechts ist, Vertrauen in die Justiz sicher zu stellen, sowie eine Akzeptanz der getroffenen Entscheidungen zu gewährleisten. Dadurch, dass beim zuständigen Gericht durch die Geschäftsordnung ein Richter zugeteilt wird, besteht keine Möglichkeit der Manipulation oder Einflussnahme durch Verwaltung / Politik / etc..
  17. Ist eine Verteilung der eingehenden Zivilsachen nach einem Turnus, nach dem Klägernamen oder nach dem Beklagtennamen nach diesem Sinn und Zweck zulässig?
    • Die Verteilung nach dem Klägernamen ist nicht zulässig, denn so besteht ein hohes Manipulationsrisiko. Zuteilung nach dem Namen des Beklagten jedoch wäre möglich. Die Verteilung der eingehenden Zivilsachen nach einem Turnus, der nach Datum und Uhrzeit "geordnet" wird, ist aber rechtens.
  18. Kann auch der Europäische Richter gesetzlicher Richter i. S. d. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sein, mit der Folge etwa, dass eine durch Art. 234 Abs 3 EGV gebotene, aber vorsätzlich unterbliebene Vorlage an den EuGH ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist?
  19. Was ist unter Ausnahme- und Sondergerichten i. S. d. Art. 101 zu verstehen?
    • Ausnahmegerichte sind nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 3, 223; 8, 182) Gerichte, die in Abweichung von den allgemeinen gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen ad hoc zur Entscheidung bestimmter Einzelfälle gebildet werden. Solche Gerichte sind in der Bundesrepublik Deutschland als dem Rechtsstaatsprinzip widersprechend durch Art. 101 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) verboten.
    • Sondergerichte sind selbstständige Gerichte, die auf bestimmte Rechtsmaterien festgelegt sind und hierüber verhandeln (z.B. Patentgericht, Arbeitsgericht und Rheinschifffahrtsgericht)

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