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Fragen zur Vorlesung vom 31. Mai 2011

  1. Welche Aufgaben sind in dem vom Grundgesetz geprägten Staat der Rechtsprechung und damit auch dem Richter anvertraut?
    • Gem. Art. 92 GG ist den Richtern die rechtsprechende Gewalt anvertraut und wird durch sie ausgeübt.
  2. Welche Aspekte hat die richterliche Tätigkeit - Zeichnen Sie ein Richterbild.
    • Völlig unzureichend: "Richter sollen einen Streitentscheid herbeiführen. In ihrer Entscheidung sind sie aber absolut frei und nicht weisungsgebunden."
      • Gem. Art. 92 GG ist den Richtern die rechtsprechende Gewalt anvertraut und wird durch sie ausgeübt.

Zu seinen Aufgaben zählt vor allem die Durchsetzung des Rechts, der Schutz subjektiver Rechte, die Verwirklichung materieller Gerechtigkeit der Bürger untereinander und gegenüber dem Staat. Darüber hinaus soll er zur Wahrung des Rechtsfriedens und zur Rechtssicherheit beitragen.

Umfassende Aufgaben der rechtsprechenden Gewalt sind jedoch mittlerweile auf die Rechtspflege übertragen worden. Dem Richter ist mithin vor allem die Rechtsprechung m materiellen Sinne anvertraut.

Vor allem in Tatsacheninstanzen ist der Richter Sachverhaltsvermittler, da er auf Grundlage der Wahrheit zunächst den je betroffenen Streitgegenstand zu entscheiden hat.

Außerdem ist der Richter immer auch Rechtsanwender, da er die Entscheidung, die er zu treffen hat, stets auf Grundlage von Gesetz und Recht zu treffen hat. Jedoch verkommt der Richter dahingehend nicht zum reinen ‚Subsumtionsautomaten’, da die Tatbestandsmerkmale regelmäßig eine richterliche Bewertung verlangen.

In Anbetracht der Tatsache, dass der Richter auch bei der Anwendung von Gesetz und Recht Wertungsspielräume besitzt, muss darauf hingewiesen werden, dass in der heutigen Gesellschaft ein wissenschaftlich offener Richter gefordert ist.

Eine soziale Schutzfunktion kommt dem Richter hingegen nicht zu.

Da der Richter ausdrücklich an Gesetz und Recht gebunden ist, ist die Forderung nach einem politischen Richter im Gegensatz zum reinen Rechtsanwender abzulehnen.

  1. Was vermag im Sinne einer auf das Volk zurückzuführenden Legitimation richterliche Arbeit zu legitimieren?
    • Unzureichend: "Zum Einen hat der Richterberuf einen hohen Stellenwert in der Bevölkerung, da er an Recht und Gesetz gebunden ist. Außerdem werden manche Richter (BVerfG) auch gewählt."
  2. Gibt es Richter, die gewählt und somit durch Wahlen legitimiert sind?
    • Richter des BVerfG werden EINMAL für 12 Jahre gewählt.
  3. Vermag die Einhaltung eines gesetzlich vorgesehenen Verfahrens richterliche Arbeit (auch falsche Entscheidungen) zu legitimieren?
  4. Vermag die Bindung an das Gesetz richterliche Arbeit zu legitimieren?
  5. Welches sind die Rechtsgrundlagen der Gesetzesbindung?
  6. Was heißt, der Richter sei an „Recht und Gesetz“ gebunden?
    • Unzureichend: "Richter sind zwar nicht weisungsgebunden. Das heißt jedoch nicht, dass Richter ein Urteil allein mit Hilfe ihres Gewissens finden. Sie müssen in der Praxis die geltenden Rechtsnormen anwenden."
  7. Welche Auslegungsmethoden wendet der Richter traditioneller Weise an, um den Inhalt des Gesetzes, an das er gebunden ist, zu erkennen?
    • Es gibt 4 Auslegungsmethoden. Die historische, grammatische, systematische und die teleologische Auslegung. Die historische Auslegungsmethode fragt danach, was der Gesetzgeber mit diesem Gesetz erreichen wollte. Die grammatische Auslegungsmethode fragt nach dem Wortsinn der Norm. Die systematische Auslegungsmethode befasst sich mit der Frage, wie die Norm im Zusammenhang mit anderen Normen steht. Diese Methode setzt den Gedanken voraus, dass die Rechtsordnung widerspruchsfrei aufgebaut sein muss. Die teleologische Auslegung fragt nach dem heutigen Sinn und Zweck der Norm, der nicht unbedingt mit dem Willen des (historischen) Gesetzgebers übereinstimmen muss.
  8. Ist der Richter befugt, die Verfassungsgemäßheit einer Norm, an die er gebunden ist, zu überprüfen?
    • Aber selbstverständlich; er ist verpflichtet, und wenn er wie regelmäßig zu dem Ergebnis kommt, sie sei verfassungsgemäß, wendet er sie an. Hält er sie für verfassungswidrig und kommt es für seine Entscheidung auf die Norm an, legt er das Gesetz nach Art. 100 GG dem BVerfG vor.
  9. Was ist unter verfassungskonformer und was unter europarechtsfreundlicher Auslegung zu verstehen?
  10. Was ist unter Analogie zu verstehen?
    • Wenn für einen bestimmten Sachverhalt keine Norm (planwidrige Regelungslücke) vorliegt und eine Norm einen anderen, aber vergleichbaren Sachverhalt regelt, dann kann die andere Norm auf den zu entscheidenden Sachverhalt analog angewandt werden.
  11. Wo steht: „Le juge qui refusera de juger, sous prétexte du silence, de l’obscurité ou de l’insuffisance de la loi, pourra être poursuivi comme coupable de déni de justice.”?
    • Art. 4 CC
  12. Und wo steht: “Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde. Es folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung.“?
    • Art. 1 Abs. 2 und 3 ZGB
  13. Da ich 'mal davon ausgehe, dass Sie sich doch nicht mit Soraya (BVerfG 1 BvR 112/65 vom 14. Februar 1973) vergnügt haben:
    • „ … Die traditionelle Bindung des Richters an das Gesetz, ein tragender Bestandteil des Gewaltentrennungsgrundsatzes und damit der Rechtsstaatlichkeit, ist im Grundgesetz jedenfalls der Formulierung nach dahin abgewandelt, dass die Rechtsprechung an "Gesetz und Recht" gebunden ist (Art. 20 Abs. 3). Damit wird nach allgemeiner Meinung ein enger Gesetzespositivismus abgelehnt. Die Formel hält das Bewusstsein aufrecht, dass sich Gesetz und Recht zwar faktisch im Allgemeinen, aber nicht notwendig und immer decken. Das Recht ist nicht mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch. Gegenüber den positiven Satzungen der Staatsgewalt kann unter Umständen ein Mehr an Recht bestehen, das seine Quelle in der verfassungsmäßigen Rechtsordnung als einem Sinnganzen besitzt und dem geschriebenen Gesetz gegenüber als Korrektiv zu wirken vermag; es zu finden und in Entscheidungen zu verwirklichen, ist Aufgabe der Rechtsprechung. Der Richter ist nach dem Grundgesetz nicht darauf verwiesen, gesetzgeberische Weisungen in den Grenzen des möglichen Wortsinns auf den Einzelfall anzuwenden. Eine solche Auffassung würde die grundsätzliche Lückenlosigkeit der positiven staatlichen Rechtsordnung voraussetzen, ein Zustand, der als prinzipielles Postulat der Rechtssicherheit vertretbar, aber praktisch unerreichbar ist. Richterliche Tätigkeit besteht nicht nur im Erkennen und Aussprechen von Entscheidungen des Gesetzgebers. Die Aufgabe der Rechtsprechung kann es insbesondere erfordern, Wertvorstellungen, die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanent, aber in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind, in einem Akt des bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen, ans Licht zu bringen und in Entscheidungen zu realisieren. Der Richter muss sich dabei von Willkür freihalten; seine Entscheidung muss auf rationaler Argumentation beruhen. Es muss einsichtig gemacht werden können, dass das geschriebene Gesetz seine Funktion, ein Rechtsproblem gerecht zu lösen, nicht erfüllt. Die richterliche Entscheidung schließt dann diese Lücke nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den "fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft" (BVerfGE 9, 338 (349)).
    • Diese Aufgabe und Befugnis zu "schöpferischer Rechtsfindung" ist dem Richter - jedenfalls unter der Geltung des Grundgesetzes - im Grundsatz nie bestritten worden (vgl. etwa ... ). Die obersten Gerichtshöfe haben sie von Anfang an in Anspruch genommen (vgl. etwa ... ). Das Bundesverfassungsgericht hat sie stets anerkannt (vgl. etwa ... ). Den Großen Senaten der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat der Gesetzgeber selbst die Aufgabe der "Fortbildung des Rechts" ausdrücklich zugewiesen (s. z. B. § 137 GVG). In manchen Rechtsgebieten, so im Arbeitsrecht, hat sie infolge des Zurückbleibens der Gesetzgebung hinter dem Fluß der sozialen Entwicklung besonderes Gewicht erlangt.
    • Fraglich können nur die Grenzen sein, die einer solchen schöpferischen Rechtsfindung mit Rücksicht auf den aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit unverzichtbaren Grundsatz der Gesetzesbindung der Rechtsprechung gezogen werden müssen. Sie lassen sich nicht in einer Formel erfassen, die für alle Rechtsgebiete und für alle von ihnen geschaffenen oder beherrschten Rechtsverhältnisse gleichermaßen gälte.
    • Für die Zwecke dieser Entscheidung kann die Fragestellung auf das Gebiet des Privatrechts beschränkt werden. Hier sieht sich der Richter der großen Kodifikation des Bürgerlichen Gesetzbuchs gegenüber, die seit über 70 Jahren in Kraft steht. Das ist in doppeltem Sinn von Bedeutung: einmal wächst mit dem "Altern der Kodifikationen" (Kübler, JZ 1969, S. 645), mit zunehmendem zeitlichen Abstand zwischen Gesetzesbefehl und richterlicher Einzelfallentscheidung notwendig die Freiheit des Richters zur schöpferischen Fortbildung des Rechts. Die Auslegung einer Gesetzesnorm kann nicht immer auf die Dauer bei dem ihr zu ihrer Entstehungszeit beigelegten Sinn stehenbleiben. Es ist zu berücksichtigen, welche vernünftige Funktion sie im Zeitpunkt der Anwendung haben kann. Die Norm steht ständig im Kontext der sozialen Verhältnisse und der gesellschaftlich-politischen Anschauungen, auf die sie wirken soll; ihr Inhalt kann und muss sich unter Umständen mit ihnen wandeln. Das gilt besonders, wenn sich zwischen Entstehung und Anwendung eines Gesetzes die Lebensverhältnisse und Rechtsanschauungen so tiefgreifend geändert haben wie in diesem Jahrhundert. Einem hiernach möglichen Konflikt der Norm mit den materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen einer gewandelten Gesellschaft kann sich der Richter nicht mit dem Hinweis auf den unverändert gebliebenen Gesetzeswortlaut entziehen; er ist zu freierer Handhabung der Rechtsnormen gezwungen, wenn er nicht seine Aufgabe, "Recht" zu sprechen, verfehlen will.
  14. Und von der Dreiteilungsmethode (BVerfG 1 BvR 918/10 vom 25. Januar 2011) haben Sie möglicherweise auch noch nichts gehört:
    • „ … Art. 20 Abs. 2 GG verleiht dem Grundsatz der Gewaltenteilung Ausdruck. Auch wenn dieses Prinzip im Grundgesetz nicht im Sinne einer strikten Trennung der Funktionen und einer Monopolisierung jeder einzelnen bei einem bestimmten Organ ausgestaltet worden ist (vgl. ... ), schließt es doch aus, dass die Gerichte Befugnisse beanspruchen, die von der Verfassung dem Gesetzgeber übertragen worden sind, indem sie sich aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben und damit der Bindung an Recht und Gesetz entziehen (vgl. ... ). Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass der Richter seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt (vgl. ... ).
    • Diese Verfassungsgrundsätze verbieten es dem Richter allerdings nicht, das Recht fortzuentwickeln. Angesichts des beschleunigten Wandels der gesellschaftlichen Verhältnisse und der begrenzten Reaktionsmöglichkeiten des Gesetzgebers sowie der offenen Formulierung zahlreicher Normen gehört die Anpassung des geltenden Rechts an veränderte Verhältnisse zu den Aufgaben der Dritten Gewalt (vgl. ... ). Der Aufgabe und Befugnis zur "schöpferischen Rechtsfindung und Rechtsfortbildung" sind mit Rücksicht auf den aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit unverzichtbaren Grundsatz der Gesetzesbindung der Rechtsprechung jedoch Grenzen gesetzt (vgl. ... ). Der Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Er muss die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren und den Willen des Gesetzgebers unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung bringen. Er hat hierbei den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung zu folgen (vgl. ... ). Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder - bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke - stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (vgl. ... ).
  15. Was ist also unter richterlicher Rechtsfortbildung zu verstehen?
    • Zu kurz: Die richterliche Rechtsfortbildung geht über die normale Auslegung hinaus. Wenn keine rechtliche Grundlage für einen bestimmten Sachverhalt existiert, muss der mit Hilfe der Fortbildung ein Ergebnis gefunden werden.
  16. Ist der Richter an Präjudizien gebunden?
    • Nein! Der Deutsche Richter ist nicht an Vorentscheidungen gebunden.
  17. Was ist unter dem Grundsatz der Öffentlichkeit zu verstehen?
    • Jede Verhandlung vor Gericht muss öffentlich stattfinden. Das heißt, dass das Gebäude offen sein muss; der Saal, indem die Verhandlung stattfindet muss auffindbar und ausreichend groß sein. Der Öffentlichkeitsgrundsatz bedeutet aber nicht, dass während der Verhandlung Filmkameras mitlaufen dürfen.
  18. Was ist sein Zweck?
    • Die Idee der öffentlichen Verhandlung soll eine Geheimjustiz verhindert werden. Außerdem muss sich der Staat bei jeder Verhandlung und bei jedem Urteil vor der Öffentlichkeit rechtfertigen.
  19. Welches sind die Rechtsgrundlagen des Grundsatzes der Öffentlichkeit?
  20. Welcher Konflikt kann zwischen dem Öffentlichkeitsgrundsatz und sonstigen Werten bestehen?
    • Zum einen besteht die Gefahr, dass der Richter und alle Prozeßbeteiligten sich unter den Augen der Öffentlichkeit nicht so verhalten, wie sie es normalerweise tun würden, da sie unter enormen öffentlichen Druck stehen können. Dieser Druck kann sich sogar stark bis in den privaten Bereich ziehen. Dies kann die Freiheit und das Leben von den Prozeßbeteiligten stark einschränken und gefährden.
  21. Wie löst das GVG den Konflikt?
  22. Welches sind die Folgen einer Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit?
    • Wird die Öffentlichkeit zu Unrecht ausgeschlossen, so ist dies ein absoluter Revisionsgrund.
  23. Was ist unter der sog. Sitzungspolizei zu verstehen?
    • Die Sitzungspolizei soll die Aufrechterhaltung der Ordnung bei Gericht gewährleisten ( s. § 176 GVG). Ein Justizwachtmeister leistet auf Anweisung des Vorsitzenden Richters Vollzugshilfe, um evtl. Störer bei Gericht zu entfernen.
  24. Was sollen die Regeln über die Sitzungspolizei sicher stellen?
    • Sie stellen einen reibungslosen Ablauf des Prozesses dar, insbesondere soll der Richter nicht durch Störung oder Zwischenrufe durch Zuschauer in seiner Unabhängikeit beeinflusst werden. Die Neutralität des Richters darf nicht durch Stimmungen im Publikum gestört werden.
  25. Wo finden Sie die Rechtsgrundlagen für sitzungspolizeiliche Maßnahmen?

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