Der folgende Fall aus dem BibliotheksRecht geht auf einen Beitrag von KlausGraf in der bibliothekarischen Mailingliste INETBIB zurück.

Als juristisches Spielmaterial kann er von Interesse sein, da eine Reihe von Rechtsgebieten tangiert sind:

OffeneFrage: Folgender Fall... Ich besuchte ein kleines Konzert in einer kleinen Stadt. Ich wollte auf diesem Konzert fotografieren. Also hatte ich mir einen Rucksack zusammengepackt indem ich einen Pullover, etwas zu trinken und meine kleine Spiegelreflexkamera verstaute. Was ich sonst noch drin hatte, weiß ich nicht. Ich ging also auf das Konzert. Am Eingang waren die üblichen Taschenkontollen. Auf Aufforderung der Dame öffnete ich natürlich meinen Rucksack. Sie griff einfach hinein, durchwühlte meine Tasche, fand natürlich meine Kamera, nahm sie ohne zu Fragen aus meinem Rucksack heraus, meinte nur "Ohje, das ist ne große!", reichte sie ihrem Kollegen, meinte daraufhin zu mir: "Besprechen Sie das bitte mit meinem Kollegen!", packte mich am Arm und schob mich zu eben diesem Kollegen. Ich hatte bis dahin kein Wort gesagt und war auch völlig perplex. Das ganze ging so schnell, dass ich nicht mal wusste, was ich dazu jetzt noch sagen sollte. Ihr Kollege hat mich dann auch gleich angeraunt und mir klar gemacht, dass ich diese Kamera gefälligst nicht mit in dieses Konzert zu nehmen habe und wenn ich dieses Konzert besuchen möchte habe ich gefälligst diese Kamera direkt am Eingang (also bei diesen Security-Leuten) zu hinterlegen habe. Mir kommt das ganze aber etwas komisch vor: Darf man mir einfach in meiner Tasche herumwühlen und mir einfach so Gegenstände aus meiner Tasche herausnehmen? Da ich nicht oft auf Konzerten bin und davon auch keine Ahnung habe, habe ich in in diesem Moment keine Maßnahmen ergriffen, sondern habe geduldet, was da gemacht wurde. Ich sehe ein, dass ich keine Spiegelreflexkamera mitnehmen durfte, jedoch ist mir nicht klar, ob man mir einfach in der Tasche herumwühlen darf und Gegenstände herausnehmen darf.


Aus der Mailingliste Forum Öff. Bibliotheken http://www.hbz-nrw.de/produkte_dienstl/mlist/forumoeb/200212/20021206.html

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie gehen Sie vor, wenn die Sicherungsanlage Alarm gibt, der Kunde sich aber weigert, die Taschen zu öffnen? Wir hatten das Problem letzte Woche bei einem Kind. Lt. unserer Information sind wir ohne Polizei aber nicht berechtigt, uns den Tascheninhalt zeigen zu lassen.

Es gibt zum Problem der Taschenkontrollen eine aeltere Darstellung im BD 1995 aufgrund eines BGH-Urteils:

http://www.dbi-berlin.de/dbi_pub/einzelth/rechtpub/taschkon.htm

Dort wird die Rechtslage der allgemeinen Zulaessigkeit der Taschenkontrolle in Bibliotheken aufgrund des Benutzungsverhaeltnisses differenziert nach privatrechtlichem und oeffentlichrechtlichem Benutzungsverhaeltnis dargestellt.

"Eine Klausel, die Taschenkontrollen androht, muß in der Benutzungsordnung / den AGB / der Hausordnung enthalten sein. Sie muß im Inhalt eindeutig und bestimmt sein (siehe obige Ausführungen), so müssen die Konsequenzen klar genannt werden. Auszüge aus der Benutzungsordnung sollten gut sichtbar ab Beginn des Geltungsbereichs aushängen, so daß vor allem auch nicht angemeldete Nutzer diese zur Kenntnis nehmen können."

Nicht beruecksichtigt werden in diesem kurzen Aufsatz die Fragen:

1. Wie darf eine zulaessige generelle Taschenkontrolle im Einzelfall durchgesetzt werden?

2. Wie ist die Lage bei Einsatz einer Buchsicherungsanlage?

a) Was ist, wenn sich die Buchsicherungsanlage am Eingang der Bibliothek, also vor einem frei mit Taschen betretbaren Bereich befindet?

b) Begruendet das Anschlagen der Buchsicherungsanlage einen zur Durchsuchung berechtigenden konkreten Tatverdacht?

Hinweise zur Beantwortung dieser Fragen (keine RechtsBeratung!)

Ad 1

Ein Security-Service informiert unter http://www.wieland-security.de/Recht/Urteile/hauptteil_urteile.html

"Taschenkontrolle nur durch die Polizei

Einzelhändler müssen im Kampf gegen Ladendiebe ihre rechtlichen Grenzen genau beachten. So untersagte der Bundesgerichtshof BGH(Az: VII ZR 221/95) dem Betreiber einer Einzelhandelskette, dessen Kunden die Durchsuchung der mitgebrachten Einkaufstaschen an der Kasse per Hinweistafeln anzudrohen.

Ohne begründeten Verdacht sind Taschenkontrollen verboten. Sie stellen eine Vorverurteilung und Diskriminierung dar. Es dürfen dem Kunden auch keine Sanktionen angedroht werden, wenn er sich weigert, seine Tasche zu öffnen. Taschenkontrollen sind ausschließlich bei einem wirklich konkreten Verdacht auf einen Diebstahl zulässig, so der BGH (Az: VII ZR 221/95). Und nur dann darf der Hausdetektiv oder das Personal den Betreffenden bis zum Eintreffen der Polizei festhalten. Ausschließlich der Polizei ist es gestattet, Tasche und Person nach Diebstahlsgut zu durchsuchen.

Sollte die Polizei nach zwei Stunden Wartezeit noch nicht eintreffen, so muß die betreffende Person freigelassen werden, wenn sie Personalien und Anschrift hinterläßt. Andernfalls gilt für ein weiteres Festhalten der Tatbestand der Freiheitsberaubung

Auszug "Protector" Mai 1998, B14371"

Eine Verbraucherseite schreibt unter http://www.pmpgp.de/siemund/alex/links/rechte/

"Zu Unrecht an den Pranger gestellt! Bei den Verbraucherzentralen häufen sich die Beschwerden. Vor allem Kaufhausdetektive überschreiten oft ihre Grenzen. Und diese hat der BGH bereits in einem Urteil vom 03. November 1993 (AZ: VIII ZR 106/93) deutlich umrissen. Danach haben weder die Angestellte noch die Hausdetektive das Recht, die Taschen ihrer Kunden gegen deren Willen zu durchsuchen. Nur wenn ein konkreter Verdacht besteht, z.B. weil eine nicht bezahlte Weinflasche aus der Einkaufstüte herausschaut oder die Tat beobachtet wurde, muss die Tasche geöffnet werden. Allerdings darf die Durchsuchung ohne Zustimmung des Kunden nur von der Polizei vorgenommen werden! Keinesfalls darf ein Kunde, der eine Durchsuchung ablehnt, mit Gewalt dazu gezwungen werden. Der Detektiv darf den Dieb nur dann festhalten, wenn er mit eigenen Augen beobachtet hat, dass dieser gestohlen hat. Das nennt sich dann Zeugenbeweis. In allen anderen Fällen begeht er Freiheitsberaubung! Verbraucherschützer raten bei diesem Sachverhalt zur StrafAnzeige. Außerdem besteht die Möglichkeit eine Zivilklage einzureichen. So verurteilte das Amtsgericht in Osnabrück (AZ: 40 C 26/88) einen Detektiv, der eine unschuldige Kundin unter dem Verdacht des Diebstahl eine Stunde festgehalten hatte, zu 125 Euro Schmerzensgeld."

Im Ausgangsfall handelte es sich um ein KIND. Unabhaengig von einer Strafverfolgung (Strafmuendigkeit) besteht ein berechtigtes Interesse der Bibliothek, ein moeglicherweise gestohlenes Medium zurueckzuerlangen. Existieren Moeglichkeiten, ohne einen Polizeieinsatz die Identitaet des Kindes und damit auch der Erziehungsberechtigten ausfindig zu machen, so sind diese vorrangig zu nutzen. Ob ein Polizeieinsatz unverhaeltnismaessig ist, auch wenn sich das Kind absolut stur stellt, muesste unter Beruecksichtigung der Antwort zu 2b und der diskriminierenden Wirkung eines Polizeiansatzes von einem Bibliotheksjuristen geprueft werden.

Bei Erwachsenen gilt nach obigem, dass eine Taschenkontrolle vom Bibliothekspersonal nicht gegen den Willen des Besuchers durchgefuehrt werden darf.

Ad 2a

In der RLB Koblenz befindet sich nicht nur am Lesesaalausgang, sondern auch im frei zugaenglichen Erdgeschossbereich (u.a. mit kostbaren bibliographischen Werken) am Bibliothekseingang eine Buchsicherungsanlage. Ein Besucher hat nicht die Moeglichkeit, vor Passieren dieser Anlage die oeffentlichrechtliche Benutzungsordnung oder einen entsprechenden Hinweis zur Kenntnis zu nehmen. Die Ausfuehrungen zur Taschenkontrolle im o.g. BD-Aufsatz und zum Tascheneinschliessen sind nicht ohne weiteres uebertragbar.

(Oeffentlichrechtliche) Benutzungsordnung http://www.rlb.de/bo.html

"§ 8 Kontrollrecht der Bibliothek

Auf Verlangen ist der Ausweis nach § 2 Abs. 4 oder ein amtlicher Ausweis mit Lichtbild vorzulegen. Mitgeführte Werke, Zeitschriften u. ä. sind vorzuzeigen und der Inhalt von mitgeführten Aktenmappen, Handtaschen und anderen Behältnissen ist kontrollieren zu lassen."

Damit ist ein Buendel offener Fragen aufgeworfen:

2a-Nr.1 Die Benutzungsordnung ist weder eine Satzung noch eine Rechtsverordnung. Kann ein so tiefgreifender Grundrechtseingriff auf dieser Grundlage erfolgen?

2a-Nr.2 Gilt der Paragraph auch fuer die nicht registrierten Benutzer, die den Lesesaal aufgrund konkludent erteilter Erlaubnis benutzen?

2a-Nr.3 Gilt er auch fuer die Laufkundschaft, die den frei zugaenglichen Erdgeschossbereich mit Taschen betreten darf?

2a-Nr.1 ist strittig.

Zu Nr. 2: Das erscheint mir ebenfalls zweifelhaft, da sich die Vorschriften der Benutzungsordnung vor allem an die angemeldeten Benutzer richten. Die Vorschrift enthaelt einen sehr weitgehenden Eingriff in die Grundrechte. Es ist fraglich, ob der Paragraph in dieser Allgemeinheit haltbar ist.

Eine Taschenkontrolle am Lesesaalausgang erscheint dann gerechtfertigt, wenn trotz der Verpflichtung Taschen einzuschliessen (§ 7 Abs. 2) solche mitgefuehrt wurden. Auch die eigenen Bücher und Zeitschriften dürfen wohl daraufhin ueberprüft werden, ob vielleicht - was ja auch versehentlich geschehen kann - ein Bibliotheksmedium darunter geraten ist.

Zu Nr. 3: Fuer den frei zugaenglichen Bereich sehe ich keine Rechtsgrundlage, ein Besucher hat keine Moeglichkeit, die Benutzungsordnung vor Passieren der Sicherungsanlage zur Kenntnis zu nehmen und in eine Taschenkontrolle durch dieses Verhalten einzuwilligen. Ohne einen konkreten Verdacht (Anschlagen der Anlage siehe unten) sind Kontrollen unzulaessig.

Ad 2b) Begruendet das Anschlagen der Buchsicherungsanlage einen zur Durchsuchung berechtigenden konkreten Tatverdacht?

Bei mir hat es auch schon mehrfach Fehlalarm gegeben (Grund: nicht korrekt entsicherte Bücher, Fernleihbücher). Auch mitgeführte Waren aus Kaufhaeusern führen zu Fehlalarmen, die somit häufiger vorkommen können.

Durchsuchen kann man nicht so einfach. Bei einem konkreten Verdacht kann die Durchsuchung nur durch die Polizei ausgeführt werden. SelbstHilfe ist nur insoweit zulässig, als dass die Person - bei Weigerung - festgehalten werden kann, bis die Polizei eintrifft. Ob unter Berufung auf die Hausordnung das Hervorholen der Bücher verlangt werden kann, ist streitig (RechtsBeratung kann es hier eben nicht geben).

Auf ein Interesse des Besuchers sein, bei einem solchen Vorgehen nicht an. (UnschuldsVermutung) Wenn er gerne einwilligt, ist das seine Sache, aber keine Pflicht und begründet für sich genommen auch keinen Tatverdacht.

Bei einem registrierten Benutzer, dessen Identitaet bekannt ist, können, wenn er sich weigert, auf die Polizei zu warten, sich im Normalfall (keine Benutzung unersetzlicher Altbestaende) Maßnahmen nach der Benutzungsordnung als wirksam und ausreichend erweisen: im Extremfall Entzug der Benutzung nach vorheriger Anhoerung (Einbestellung zu einem Gespraech usw.).

Bei einem nichtregistrierten Besucher kann das Personal, wenn Umstände einen konkreten Verdacht begründen, diesen bis zum Eintreffen der Polizei festhalten. Allerdings ist dem Besucher nicht zuzumuten ist, beliebig lange zu warten.

Das Festhalten gegen den Willen des Verdächtigen ist aber nur mit äusserster Vorsicht vorzunehmen. Hierzu ist die "Blaue-Flecken"-Theorie des BGH anzuwenden (kleine blaue Flecken wegen Festhaltens sind noch gerade in Ordnung. Allers weitere ist nicht zulässig. Rechtsprechung zu § 127 I StPO)

Vollständig effektiver Kontrolle einer Diebstahlprävention stehen GrundRechten des Benutzers gegenüber.

TaschenKontrolle (zuletzt geändert am 2008-01-20 20:00:04 durch anonym)