Polen im Umbruch – Eindrücke eines Jurastudenten

Es geht sicher nicht nur mir so: Einen Bericht über ein Auslandssemester zu schreiben , wird niemanden besonders leicht fallen; zu viele Gedanken, Erinnerungen schwirren im Kopf umher. Ich möchte dennoch versuchen, der Reihe nach vorzugehen:

Kaum hatte ich im Herbst 1990 angefangen, in Saarbrücken Jura zu studieren, als ich mich über angebotene Sprachkurse der Universität informierte. Mein Wunschstudium, der kombinierte deutsch-französische Studiengang, war mir zuvor wegen angeblich fehlender Französischkenntnisse verwehrt worden. Da eine Aufnahme dieses Studiums ein Jahr später für mich nicht mehr in Frage kam. Habe ich mich nach anderen Möglichkeiten umgesehen, das Jurastudium mit meinem Interesse an Fremdsprachen zu verbinden. Um wenigstens ein bißchen über meinen juristischen Tellerrand hinauszublicken, wollte ich zumindest einen Sprachkurs belegen. Neben Schwedisch bin ich so durch einen polnischen Freund auf die Idee gekommen, es doch einmal mit Polnisch zu versuchen. Zunächst stand hinter der Idee nur der Plan, bei einem Urlaub in Polen Grundbegriffe der Sprache zu beherrschen, nicht mehr.

Der erste Kontakt mit meiner späteren Polnisch-Lektorin, Frau Dr. Malgorzata Majewska, änderte diese Einstellung jedoch nachhaltig: Obwohl ich mich erst einmal nur über die angebotenen Polnischkurse informieren wollte und Malgosia mich noch nie gesehen hatte, wurde ich begeistert in den Anfängerkurs aufgenommen. – viel mehr als nur drei Teilnehmer, die sich vor mir bereits angemeldet hatten, sind wir übrigens auch später nie geworden... Ja, und dann, noch vor Ende der ersten Kursstunde, kam das Angebot, das meine Studienpläne über den Haufen werfen sollte: Ob ich nicht Interesse hätte, ein Semester in Warschau zu studieren? Eigentlich sei das Programm ja für Slavistikstudenten gedacht, aber man habe halt niemanden gefunden, der sich dafür interessierte, so daß Studenten aller Fachrichtungen daran teilnehmen könnten. Natürlich habe ich Malgosia gebeten, mich ein bißchen ausführlicher zu informieren. Nach einiger Überlegung und Rücksprache mit Freunden und Verwandten stand schließlich fest: In einem Jahr werde ich in Warschau sein.

Seit mehreren Jahren unterhält die Universität des Saarlandes eine Kooperation mit der Universität Warschau, in deren Rahmen Slavistik- bzw. Germanistikstudenten für einige Monate an der jeweils anderen Universität studieren Können. Während die Plätze für die polnischen Studenten stets genutzt wurden, bereitete es zum Teil Schwierigkeiten, die für die Deutschen vorgesehenen Stipendien zu vergeben. Ich weiß wirklich nicht, woran das gelegen haben könnte, denn die äußeren Bedingungen waren (und sind) ausgezeichnet: Neben der liebenswerten und intensiven Betreuung und Beratung auf deutscher wie auf polnischer Seite wird den Teilnehmern ein Vollstipendium gewährt....., das nicht nur Unterkunft und Studiengebühren umfaßt, sondern darüber weit hinausgeht: Teure Sprachkurse werden ebenso von der gastgebenden Universität finanziert wie interessante Exkursionen, medizinische Versorgung ist - zumindest auf polnischer Seite – neben einem großzügigen Zuschuß zu den Lebenshaltungskosten darin enthalten, nicht zu vergessen die Kosten für An- und Abreise. An Finanzierungsproblemen bei einem solchen Aufenthalt kann das Desinteresse also nicht liegen. Noch weniger eigentlich an den Inhalten: Gerade in der derzeitigen Umbruchsphase bietet Polen doch gerade für Slavistikstudenten bisher ungeahnte Betätigungsfelder! Auf der anderen Seite eröffnete mir das mangelnde Interesse ja erst die Möglichkeit, in Polen zu studieren, also werde ich mich nicht allzusehr darüber beklagen....

Am 1.August 1991 war es schließlich soweit: Nachdem mich Malgosia mit zwei Semestern Polnisch auf meinen Aufenthalt vorbereitet hatte, kam ich, begleitet von meinem Vater und meiner Freundin, in Warschau an - eigentlich machte die Stadt unter einem Regenschleier keinen besonderen Eindruck, trotzdem habe ich mich mit ihr sofort angefreundet – ein gutes Zeichen!

Nachdem das Quartier für den ersten Monat in einem Studentenwohnheim auf dem Ostufer der Weichsel bezogen worden war, hieß es nach einigen Tagen Abschied nehmen für die nächsten Monate. Der sich nahtlos anschließende Intensivsprachkurs ließ aber gar keine Zeit für Trübsal – zu viele neue Gesichter erschienen. Durch die zahllosen Gespräche mit den Kursteilnehmern aus aller Welt vergingen die ersten Tage wie im Flug, und fünf Stunden Lektorat am Tag sorgten dafür, daß man gut ausgelastet war. Jede der neun Gruppen des Kurses war international bunt gemischt, was in mehrfacher Hinsicht interessant war: Neben dem üblichen small talk nach dem Woher und Warum bestand vielfach die Möglichkeit, auch in der gemeinsamen Unterkunft noch zusammen zu kommen oder etwas zu unternehmen, um so die Kontakte zu vertiefen. Obwohl zumindest in den Anfängergruppen natürlich meist Englisch oder Französisch die vorherrschende Sprache unter den Teilnehmern war, ergab sich – auch abseits der eigentlichen Unterrichtsstunde – dennoch die Notwendigkeit sich mit seinem paar Brocken Polnisch zu verständigen. Nicht nur im Supermarkt oder am Kiosk, sondern auch im Gespräch mit „Mitschülern“ aus Bulgarien oder Rumänien war Polnisch vonnöten.

Unvergessen werden mir die Ausflüge und Exkursionen bleiben, die wir unternommen haben, zum Teil mit der ganzen Gruppe, zum Teil auch nur zu zweit. So ging es z.B. nach Danzig. Prag und Krakau, der sogenannten „Perle Polens“ (mir gefielen übrigens Warschau, Danzig und Lublin viel besser). Warum wir allerdings dort in Luxushotels wie dem „Holiday Inn“ untergebracht worden waren, wird mir wohl ewig ein Rätsel bleiben. Den Unmut, den dies angesichts der bedrückenden wirtschaftlichen Lage Polens unter uns Teilnehmern ausgelöst hat, sollte auch den polnischen Organisatoren nicht verborgen geblieben sein.

Überhaupt war der erste Monat der ereignisreichste. Es wurde fast ein bißchen viel, so daß ich den September, in dem noch Semesterferien waren, in Ruhe genießen und Warschau erst einmal richtig erkunden konnte. Mittlerweile lebte ich auf er westlichen Stadtseite der Weichsel in einem anderen Studentenwohnheim. Bei 34 Grad war ich per Straßenbahn und Bus umgezogen! Später mußte ich noch einmal das Zimmer wechseln, aber soviel Flexibilität muß man halt mitbringen.

Dieses Wohnheim, das vor nicht allzu langer Zeit als Schulungszentrum der Partei diente, war leider fast ausschließlich von Ausländern bewohnt. Einerseits war dies natürlich ausgesprochen interessant, da man im Laufe der Zeit Studenten, Doktoranden und junge Wissenschaftler aus aller Welt zu Bekannten und freunden werden. Auch möchte ich die gemeinsam mit Gesprächen über die unterschiedlichen Länder und Kulturen, die Sprache und die Menschen verbrachte Zeit nicht missen, zumal mein Französisch davon zweifellos profitiert hat. Auf der anderen Seite kam in dieser „Ausländergemeinde“ die polnische Sprache viel zu kurz, weil die meisten Gespräche der Einfachheit halber auf Französisch, Englisch oder Deutsch geführt wurden. Davon abgesehen, habe ich dort sehr gerne gewohnt. Der größte Warschauer Park lag direkt hinter dem Haus, zur Innenstadt waren es kaum zehn Minuten mit dem Bus, und die unmittelbare Nachbarschaft zur – damals noch – sowjetischen Botschaft, zum Amtssitz des Präsidenten usw. gab häufig Anlaß zu interessanten Beobachtungen, und auch ein Gefühl der Sicherheit. So waren Militär und Polizei allgegenwärtig, wenn nicht in Uniform, dann doch wenigstens übertrieben unauffällig in Zivil an der Straßenecke.

Daß sich die Kriminalität in Warschau dramatisch erhöht hat, seit die Sozialisten auf dem Rückzug sind, mag stimmen. Soweit ich das einschätzen kann, ist es aber bis zu einer Verbrechensrate wie z.B. in Hamburg oder auch nur in Saarbrücken zum Glück noch ein weiter Weg, und von einem „New York des Ostens“ zu sprechen, wie es in Warschau mittlerweile verbreitet ist, ist Unsinn. Auch das ich ausgerechnet mitten im Botschaftsviertel erstmalig einem Straßenraub zum Opfer gefallen bin, ist wohl reiner Zufall.

Mit dem Beginn des Oktobers startete auch der normale Universitätsbetrieb wieder. Das bedeutet für mich einerseits, daß ich wieder einen Sprachkurs besuchte, der mit fünf Unterrichtsstunden pro Woche allerdings nicht besonders intensiv sein konnte. Gleichwohl hat er mir viel gegeben, da er weniger darauf abzielte Grammatikkenntnisse zu vermitteln, als vielmehr Diskussionen zu fördern und ein Verständnis für den Zusammenhang zwischen polnischer Sprache und Kultur zu wecken. Auf der anderen Seite galt es nun auch zu testen, ob ich den juristischen Vorlesungen folgen konnte, um wenigstens Grundkenntnisse des polnischen Rechts zu erwerben. Im Laufe der Zeit, d.h. nach etwa 10 Wochen, war ich in der Lage, die Vorlesungen beispielsweise zum Römischen Recht oder in Logik zu verstehen. Andere, wichtigere wie z.B. Zivilrecht oder polnische Rechtsgeschichte erwiesen sich dagegen als noch zu schwierig. Es zeigte sich, daß die zwei Semester Polnisch, die ich in Saarbrücken absolviert hatte, nicht ausreichten, um dieser Situation gewachsen zu sein.

Dennoch denke ich, daß sich meine Sprachkenntnisse in diesen sechs Monaten verbessert haben, neben den Sprachkursen insbesondere durch den Kontakt zu polnischen Studenten, die vor allem an meiner, der juristischen Fakultät kennengelernt habe, aber auch durch Zufall auf der Straße oder bei einer der Feiern des Fachbereichs und der Studentenschaft. Ganz besonders möchte ich an dieser Stelle der Warschauer Fakultätsgruppe der „European Law Students` Association (Elsa)“ hervorheben, deren Mitglieder bereits vor meiner Abfahrt nach polen mit mir Kontakt aufgenommen und mich in ihrem Kreis herzlich willkommen geheißen haben.

Meine Kontakte zu jungen Polen gestattete mir schließlich auch einen Einblick in das Alltagsleben ihrer Familien. Es zeigte sich überdeutlich, wie groß doch die Unterschiede sind: die einen müssen zu dritt mit einer kleinen Zweizimmerwohnung in den Massenwohnvierteln auskommen und sind auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen, will ein Auto für sie unerschwinglich ist. Die anderen leben in repräsentativen Einzelhäusern auf dem Lande am Rande der Stadt und können es sich erlauben, jedes Jahr in fernen Ländern Urlaub zu machen. Besonders bedrückend ist es für einen „Wessi“ zu sehen, wie Rentner, darunter auch emeritierte Professoren, auf Kirchentreppen um ein paar Zlotys betteln, weil sie sich die Suppe in der subventionierten Milchbar nicht mehr leisten können.

Allgemein wird die wirtschaftliche Lage in Polen zumindest für die Rentner und Kleinverdiener immer schlimmer; das Ausmaß wird hierzulande gar nicht in dem Maße bekannt, wie es sich in Warschau darstellt. Im Gegensatz zu Rußland beispielsweise, gibt es in den Geschäften und auf den Märkten genug zu kaufen – die Verkaufstische biegen sich unter der Last. Bezahlen können die importierten westlichen Waren indes nur von Großverdienern und Ausländer, die – man muß es sagen – das Land überschwemmen, meist um dort das große Geld zu machen.

Besonderer Höhepunkt waren zudem noch die Einladung, Allerheiligen in einer polnischen Familie zu feiern, sowie der Besuch der Konstanzer Fakultätsgruppe von Elsa. Zusammen mit den Gästen aus Deutschland habe ich Gerichte und Ämter besucht, an Diskussionen teilgenommen, ein Gefängnis besichtigt und auf diese Weise eine ganz andere Seite der Juristerei in Polen kennengelernt.

Es gäbe noch so viel über meinen Aufenthalt zu berichten, ich könnte wohl ein kleines Buch füllen. Ich muß jedoch auch einmal einen Schlußstrich ziehen. Ich möchte meinen Bericht nicht schließen, ohne Herrn Prof. Dr. G. Hummel, der sich mit so großem Einsatz um die Organisation meines Aufenthaltes gekümmert hat, zu danken.

Olaf Zwetkow, März 1992

JuristischesAuslandsbüroSaarbrücken/ErfahrungsBericht/Warschau (zuletzt geändert am 2008-01-20 19:56:47 durch anonym)