ERASMUS-Aufenthalt an der Universidad Autonoma de Madrid

Fast bevor ich wußte was ich studieren würde, war mir klar: Ein Auslandsstudium muß dabei sein. Deswegen begann ich nach dem 2. Semester auch Spanisch zu lernen. Da die Universität Mannheim in bezug auf Auslandsbeziehungen noch ziemlich verschlafen ist, hörte ich mich nach meiner Sprechercharge in meiner Studentenverbindung bei den Universitäten in der "Umgebung" um, und erhielt aus Saarbrücken das vielversprechende Angebot für ein Stipendium: "Kumme Se mol her, dann hann Se`s". Voraussetzung war allerdings, daß ich ein Semester in Saarbrücken studierte. Immerhin konnte ich so auch einmal eine andere deutsche Universität näher kennenlernen. Es wurde mir dann auch ziemlich schnell klar, wie gut ich es an der Mannheimer Uni gehabt hatte. Immerhin eine interessante Erfahrung, wenn sie mich auch ganz klar einen Schein gekostet hat. Erstaunlicherweise wollten die Saarbrücker Juristen alle viel lieber nach Salamanca , einer vielleicht Heidelberg vergleichbaren Kleinstadt. Da ich aber ihre Besorgnis nicht teilte, mich in Madrid ein halbes Jahr langweilen zu müssen, ging ich dann als einziger im Oktober nach Madrid. Salamanca habe ich von dort aus auch noch besichtigt, es taugte bereits nach einem Wochenende zu kaum etwas anderem als dem regionaltypischen Besäufnis. Meine Erwartungen in bezug auf Madrid wurden dann auch nicht enttäuscht. Nach den ersten drei Wochen der Eingewöhnung beschäftigte ich mich überwiegend mit den Grundlagen des Rechtssystems: Wann geht der Spanier einen trinken, wo tanzen, wann geht er ins Bett (übrigens geht er eigentlich fast gar nicht ins Bett). Das dortige Durchhaltevermögen muß man sich wohl in langen Jahren antrainieren. Unter der Woche ist für diesen Lebenswandel die besondere Organisation der spanischen Universitäten sehr hilfreich: alle Vorlesungen werden sowohl morgens als auch mittags angeboten. Die besten (interessantesten) Studenten gehen also erst mittags zur Uni, abends wird daheim kurz gegessen und geduscht, und um 10.00 h kann man dann ausgehen. Eine wichtige Zeit ist dann wieder die erste Metro morgens um 06.30 h. Bleiben noch lockere 8 Stunden Schlaf, bis man um 15.00 h wieder an der Uni anfängt. Nur so läßt sich das reichhaltige Angebot Madrids mit einem geregelten Studium verbinden. Das Jurastudium ist dort ganz anders organisiert. Es ist sehr stark verschult, man bleibt immer in seinem "kleinen" (ca. 150 Personen) Kurs. Der Stundenplan ist dicht gedrängt. So etwas wie akademische Freiheit ist unbekannt, Sonderveranstaltungen zu ausgefallenen Rechtsgebieten werden kaum angeboten. Erst im als Aufbaustudiengang organisierten Doktorat kann man zu wissenschaftlicher Beschäftigung mit Rechtsgebieten gelangen. Der wichtigste Unterschied ist jedoch folgender: es werden, für einen deutschen Juristen unvorstellbar, keine Mindermeinungen gelehrt. Dies erklärt sich unter anderem daraus, daß die Prüfungen fast ausschließlich im multiple-choice-Verfahren erfolgen. Teilweise fragte ich mich, womit man dann noch 5 Studienjahre füllen kann. Das Niveau der Studenten war dann auch teilweise so schlecht, daß wir Ausländer die Vorlesung gut mitgestalten konnten. Andererseits habe ich auch die bisher didaktisch besten Vorlesungen von spanischen Professoren gehört. Nachdem die ersten Monate der Grundlagenforschung gewidmet waren, habe ich in der zweiten Hälfte meines Madrid- Aufenthaltes kräftig gearbeitet. Zu all den versäumten Vorlesungen, die ich aufholen mußte hatte ich mich mir bereits in Deutschland über ein Praktikum bei Bilfinger und Berger Beziehungen zu einer spanischen Anwaltskanzlei schaffen können, in der ich dann etwas Praxis schnuppern konnte. Und die Rechtspraxis ist natürlich auch in Spanien von der Theorie meilenweit entfernt. Aber auch mindestens ebenso weit von der deutschen Praxis. Außer dem Fachlichen hat mir der Madridaufenthalt aber auch menschlich sehr viel gebracht. Erst im Ausland wird man sich bewußt, worin man ein Deutscher ist. Im Vergleich mit anderen Nationalitäten wurde ich mir wirklich klar, worin ich ein Deutscher bin, wie ich dadurch bestimmt bin und wie ich mich deswegen von anderen unterscheide. Viele Europäer aller Couleur lernte ich kennen und schätzen, bis hin zum überzeugten Royalisten aus Frankreich. Aus einigen Vorurteilen wurden Urteile, andere dagegen ließen sich nicht halten (so sind die Schweden weder groß noch blond, noch blauäugig, aber sie saufen wirklich bis zum Umfallen). Trotz aller Unterschiede, die verschiedentlich die gröbsten Vorurteile über den Nationalcharakter bestätigten, waren wir junge Menschen, die sich in Madrid zusammenfanden, uns doch erstaunlicher ähnlich. Ist es der Überrest des alten Abendlandes oder der Beginn des heraufdämmernden Europas? Wir deutschen Jurastudenten hatten als einzige die Möglichkeit, Scheine in Spanien zu erwerben. Was uns dann das ERASMUS-System überhaupt nütze, wurde ich verschiedentlich gefragt. Unter diesen Bedingungen würde der Sinn des ERASMUS-Programms doch gar nicht erreicht. Wenn die Stadt Madrid in meinen umfangreichen Ausführungen zu kurz gekommen sein sollte, nur drei Worte: Madrid ist riesig! Je länger ich weg bin, desto mehr sehne ich mich zurück. P.S. Inzwischen ist die Justiz-Ausbildungs-Prüfungsordnung (JAPrO) in Baden-Württemberg geändert worden. Nach der neuen Fassung kann im Ausland ein großer Schein, ein Grundlagenschein und ein Seminarschein gemacht werden. Ein Jahr wird als Bonus auf den Freischuß angerechnet. Wer also jetzt als Jura-Student nicht ins Ausland geht gehört geohrfeigt.

Elmar Kloos, 1992/93

JuristischesAuslandsbüroSaarbrücken/ErfahrungsBericht/Madrid (zuletzt geändert am 2008-01-20 19:59:16 durch anonym)