Um die enorme Stoffmenge des Jura-Studiums zu bewältigen, setzen viele Jura-Studenten auf die altbewährten Karteikarten.

1. Lernpsychologischer Hintergrund

Gegenüber anderen Lernmitteln wie selbsterstellten Skripten zeichnen sich Karteikarten zum einen dadurch aus, dass sie leicht dazu genutzt werden können, um sich selbst abzufragen, nämlich indem man auf die Vorderseite eine Frage oder ein Stichwort schreibt und auf die Rückseite die richtige Antwort. Studien haben gezeigt, dass diese aktive Beschäftigung mit dem Stoff dem rein passiven nochmaligen Lesen überlegen ist und dass Testpersonen, die auf diese Art und Weise lernen, sich im Nachhinein regelmäßig besser an das Gelernte erinnern können. Die Lernforschung bezeichnet dieses Phänomen als Testing Effect.

Ein anderer Vorteil von Karteikarten besteht darin, dass sie danach sortiert werden können, wie gut man den Stoff bereits beherrscht. So kann man leicht unterscheiden zwischen einfachem Wissen, das man bereits sicher beherrscht und deshalb weniger wiederholen muss, und schwerem Wissen, das noch nicht sitzt und deshalb häufiger wiederholt werden sollte. Die von Sebastian Leitner entwickelte Lernkartei mit fünf verschiedenen Fächern, die vielen noch vom Vokabellernen aus der Schulzeit bekannt sein wird, ist ein System, das diese abgestufte Wiederholung umsetzt.

Aus lernpsychologischer Sicht ist die Wiederholung von Wissen in wachsenden Abständen überaus sinnvoll. Studien haben ergeben, dass der Zeitpunkt, in dem eine Information wiederholt wird, große Auswirkungen darauf hat, wie effektiv diese ist, das heißt darauf, wie tief die Information durch die erneute Wiederholung im Gedächtnis verankert wird. Die Lernforschung hat dafür den Begriff Spacing Effect geprägt, weil es wichtig ist, zeitliche Abstände zwischen einzelnen Wiederholungen zu lassen, anstatt dieselbe Information anfangs mehrmals nacheinander zu wiederholen und dann längere Zeit überhaupt nicht mehr. 1987 hat diese Erkenntnis zur Entwicklung sogenannter Spaced Repetition Programme geführt, die versuchen, den idealen Zeitpunkt für jede einzelne Wiederholung zu berechnen. Sie setzen ebenfalls auf das Karteikartenprinzip.

2. Kritik

Das Lernen mit Karteikarten wird oft mit dem Argument kritisiert, dass der Fokus dabei zu stark auf dem Auswendiglernen und zu wenig auf Verständnis und Anwendung des Lernstoffs liegt. Zutreffend ist insofern, dass neben dem Lernen mit Karteikarten auch die Anwendung des so gelernten Wissens in der Klausur geübt werden muss. Es muss sichergestellt werden, dass der Lernstoff nicht nur abstrakt beherrscht wird, sondern auch auf den konkreten Fall in der Klausur angewandt werden kann und unbedingt nur dann wiedergegeben wird, wenn er auch wirklich für die Lösung des jeweiligen Falles relevant ist (keine „Wissensprostitution“).

Ebenfalls ist zu beachten, dass es in Anbetracht der enormen Menge an Lernstoff notwendig ist, sich bei dem Wissen, das man mit Karteikarten(programmen) wiederholt, auf die Basics zu beschränken, anstatt jeden einzelnen Streitstand im Lehrbuch in mühsamer Arbeit abzuschreiben und auswendig zu lernen.

Bei aller Kritik am Auswendiglernen und Lernen mit Karteikarten wird jedoch häufig übersehen, dass Wissen und Verstehen keine Gegensätze sind, sondern einander ergänzen. Vieles, was bei der Bearbeitung einer Klausur wichtig ist, muss einfach gewusst werden, z. B. gesetzliche Regelungen und wo diese im Gesetz zu finden sind, in welchem Verhältnis sie zu anderen Normen stehen sowie die wichtigsten Standard-Definitionen und Prüfungsschemata. Natürlich ist es hilfreich, diese Dinge auch verstanden zu haben, da man sie so langsamer vergisst. Wichtig ist es aber eben vor allem, sie zu kennen und sicher zu beherrschen.

Schließlich setzen sich Kritiker des Lernens mit Karteikarten regelmäßig nicht mit den von der Lernforschung seit langem erkannten Vorteilen dieser Lernstrategie auseinander.

3. Analog oder digital?

Viele Studenten schätzen die Materialität ihrer handgeschriebenen Karteikarten. Die eigene Handschrift sowie kleine Skizzen können dazu beitragen, dass man sich besser an die jeweiligen Inhalte erinnert. Moderne Karteikartenprogramme bieten demgegenüber jedoch ebenfalls diverse Vorteile. Vor allem sortieren sie Karteikarten automatisch danach, wie gut du sie bereits beherrschst und wann du sie wiederholen solltest. In Anbetracht der im Jura-Studium erforderlichen Menge an Karteikarten ist es kaum möglich, jeden Tag die eigenen Karten nach Kenntnisstand in eine Lernkartei einzusortieren. Das führt deshalb schnell dazu, dass man willkürlich mal dieses und mal jenes Fach wiederholt, während ein Programm stets den Fokus auf das Wissen legt, das du noch nicht beherrschst oder bald wieder vergessen würdest. Karteikartenprogramme haben zudem den Vorteil, dass der gesamte Lernstoff automatisch nach Stichwörtern durchsucht werden kann.

Die unten aufgeführten Karteikarten- bzw. Spaced Repetition-Programme unterscheiden sich insbesondere danach, nach welchem Lernalgorithmus sie den Stoff wiederholen. Ein Vergleich der verschiedenen Ansätze findet sich z. B. hier.

4. Karteikarten kaufen oder selbst erstellen?

Nicht selten hört man die Ansicht, dass der Hauptlerneffekt beim Schreiben von Karteikarten (oder auch beim Verfassen eigener Skripten) durch die Wiedergabe des Lernstoffs in eigenen Worten bewirkt wird. Dies wird gemeinhin als starkes Argument gegen vorgefertigte Karteikartensätze angesehen, da man bei diesen den Stoff ja gerade nicht selbst zusammenfasst. Verschiedene lernpsychologische Studien haben allerdings ergeben, dass das selbstständige Zusammenfassen nicht so effektiv ist wie landläufig angenommen. Der enorme Zeitaufwand, den das Erstellen eigener Karteikarten erfordert, wird leider nicht unbedingt durch eine ebenso große Lernwirkung belohnt. Es ist eher die (regelmäßige) Wiederholung der Karten durch aktives Abfragen, die verhältnismäßig viel zum eigenen Lernerfolg beiträgt. Dennoch ist es für Jura-Studierende ein äußerst wertvoller Skill, selbst brauchbare Karteikarten für das eigene Studium zu erstellen, da man oftmals nicht auf (gute) vorgefertigte Sets zurückgreifen können wird.

5. Tipps zur Erstellung eigener Karteikarten

Gute (d. h. sowohl kurze als auch verständliche) Karteikarten zu erstellen ist nicht leicht. Wichtige Fragen sind:

  1. Welches Wissen übertrage ich überhaupt auf Karteikarten (Wissensselektion)? Hier gilt: Nur die Basics. Um jeden Streitstand in deinem Skript abzuschreiben und zu wiederholen, fehlt dir schlichtweg die Zeit. Nur die wichtigsten Informationen, die immer wieder in Klausuren drankommen, gehören auf Karteikarten, damit du diese Standardbausteine in der Klausur ohne nachzudenken abspulen kannst. Bsp: Ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet? Wann ist eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich? Was ist eine Wegnahme? Was Gewahrsam? Wann wird dieser gebrochen? Leider ist es oft nicht leicht zu erkennen, welches Wissen nun genau zu den Basics gehört und welches nicht. Eine Frage, die bei der Entscheidung helfen kann, ist: In wie vielen verschiedenen Fällen kann diese Information relevant sein? Fast in jedem Fall (dann auf Karteikarten übertragen) oder nur in sehr wenigen, speziellen Szenarien (dann eher nicht)? Beachten musst du allerdings, dass es gelegentlich exotische Probleme gibt (wie zum Beispiel den Erlaubnistatbestandsirrtum), die zwar nicht in der Wirklichkeit, aber dafür in Klausuren immer wieder drankommen. Solche Probleme sollte man ebenfalls auf Karteikarten übertragen.

  2. Wie viele Informationen frage ich mit einer Karte ab? Immer so wenig wie möglich. Die Spaced Repetition-Szene hat hierfür den Begriff minimum information principle geprägt, d. h. du solltest, wann immer dies möglich ist, nur eine Information mit einer Karte abfragen. In unserem Fach ist das oft schwierig, weil alles so eng miteinander verknüpft ist, aber Lösungen wie die Jura-Vorlagen können dabei helfen, das zu schaffen. Wenn der Stoff komplex und vielschichtig ist, kannst du mit jeder Karteikarte tiefer ins Detail gehen und immer weitere Anschlussfragen stellen (siehe z. B. die Fragen zum Diebstahl am Ende von Punkt 1).

  3. Wie formuliere ich meine Karteikarten genau? Hier gilt es darauf zu achten, dass du Fragen stellst, die sich entweder unmittelbar aus der Klausur ergeben oder die bei deren Lösung zwangsläufig auftreten. Viele machen den Fehler, dass sie Hintergrundwissen abfragen, das höchstens einmal in einer mündlichen Prüfung relevant sein könnte, aber zur Lösung der Klausurenfälle nichts beiträgt.

6. Fertige Karteikarten-Sets kaufen

Es gibt verschiedene Anbieter im juristischen Bereich, die fertige Karteikartenpakete anbieten:

7. Karteikartenprogramme und Apps

8. Alternativen

Lernen mit Karteikarten ist nicht die einzige Option. Daneben gibt es auch noch andere Lerntechniken, wozu ein Blick auf die Seite LernTechnik helfen kann.

KarteiKarte (zuletzt geändert am 2018-06-11 09:34:48 durch anonym)